Adam Sandler: Das Kind im Mann
Am Ende mancher Filme braucht man hinterher eine Beruhigungspille. „Uncut Gems“ („Der schwarze Diamant“) von Josh und Benny Safdie ist einer jener herausragenden Extremfilme. Danach ist der Stresslevel so hoch, dass von Schlafengehen keine Rede mehr sein kann. Man muss erst herunterkommen und sein Nervenkostüm glatt streichen: Es wurde von exquisiten Adrenalinstößen auf Höchstniveau strapaziert.
Adam Sandler, der die Hauptrolle in „Der schwarze Diamant“ spielt, verriet seiner Mutter lieber gleich das Ende des Films, um ihr wenigstens den letzten Schock zu ersparen. Ohnehin hätte er die Rolle fast abgesagt beim Gedanken daran, wie sie auf seine Kinder wirken könnte.
Tatsächlich ist Howard Ratner in „Der schwarze Diamant“ nicht gerade einer jener Kerle, die man im Repertoire von Adam Sandler gewohnt ist. Ratner ist ein egomanischer, spielsüchtiger Juwelenhändler im jüdischen New Yorker Diamantenviertel und geht seiner Umgebung mit unglaublicher Penetranz auf die Nerven. Er hat eine jüngere Geliebte, eine angefressene Ehefrau und frustrierte Kinder. Angetrieben von seiner Wettleidenschaft, trifft er konsequent falsche Entscheidungen und setzt seine Existenz aufs Spiel.
Die Regisseure Josh und Benny Safdie – derzeit die Halbgötter im cinephilen Hipster-Himmel – beteuerten immer wieder, wie sehr sie diesen Howard Ratner lieben. Sandler selbst war von der Liebenswürdigkeit seiner Figur weniger überzeugt.
Wer „The Sandman“ in erster Linie aus seinen Komödien aus den goldenen 190er Jahren kennt – irgendwo zwischen „Billy Madison“ und „Big Daddy“ – wird sich tatsächlich wundern.
Auch in seinen romantischen Vorzeige-Komödien – vor allem an der Seite von Drew Barrymore in „The Wedding Singer“ („Eine Hochzeit zum Verlieben“) oder „50 Dates“ („50 erste Dates“) – zeigte er sich von einer gänzlich anderen Seite als ein Howard Ratner.
Unvergesslich zudem Sandlers haarige Parodie auf den Ex-Mossad-Agenten Zohan, der sich in New York als Friseur neu erfindet und größten Wert auf seine wuchernde Schambehaarung legt: „The Buuush!“
Sandler hat tatsächlich ein goldenes Händchen für Kassenerfolge und gilt als einer der bestbezahlten Schauspieler Hollywoods. Er drehte allein im Komödienfach um die 30 Filme, von denen viele gnadenlos von der Kritik verrissen wurden.
Wutausbruch
Als sein Komödien-Ur-Text gilt „Billy Madison – Ein Chaot zum Verlieben“, in dem er mit Hingabe sein Markenzeichen – das Kind im erwachsenen Mann – durchdekliniert. Inspiriert von seiner Paraderolle des Pfadfinders „Canteen Boy“ in der Comedyshow „Saturday Night Life“, spielt Sandler einen Erben namens Billy Madison.
Billy spricht mit überlauter Stimme, hat einen Sprachfehler und liebt Pornohefte mit Frauen über 80. Außerdem hat er surrealistische Anwandlungen und sieht Pinguine, wo keine sind. Um seinem Vater zu beweisen, dass er doch Grips in der Birne hat, kehrt er in die Volksschule zurück und lernt das Wort „C-o-u-c-h“ buchstabieren.
Billy Madison ist nicht nur kindisch, sondern in seiner Infantilität auch rührend naiv – eine Qualität, die viele Sandler-Charaktere auszeichnet und liebenswert macht.
Allerdings muss man sich vor ihren Wutausbrüchen in acht nehmen: Wenn er will, kann der Sandman ganz schön durchdrehen. In seinem Komödienklassiker „Happy Gilmore“ ackert er schon mal mit dem Golfschläger die Wiese um oder versetzt gediegenen Opis Faustschläge.
Mit Wutausbrüchen kämpfte Sandler auch in dem Drama „Punch-Drunk Love“ und begeisterte in seiner ungewohnt ernsten Rolle die Filmkritik. Danach wurden immer wieder Rufe laut, die mehr ernsthafte Rollen für Sandler forderten.
Noah Baumbach besetzte ihn in seiner Familienchronik an der Seite von Ben Stiller in „The Meyerowitz Stories“, wo Sandler ganz im Schatten seines Künstler-Vaters (Dustin Hoffman) steht. Er spielt die Rolle des vernachlässigten Sohnes mit unglaublicher Offenheit, sich verletzbar zu machen, ohne dabei sein Timing für Comedy zu verlieren.
Wer einmal Teil des Sandler-Universum geworden ist, bleibt es oft für immer. Der 53-Jährige ist berühmt für Loyalität und seine langjährigen Kollaborationen mit Schauspiel-Kollegen (Drew Barrymore! Jennifer Aniston! Steve Buscemi! Chris Rock!).
Mit Chris Rock spielte er zuletzt in „The Week of“ („Die Woche“), in dem Sandler als jüdischer Mittelklasse-Mann die Hochzeit seiner Tochter ausrichtet. Als überforderter Vater, der nur das Beste für sein Kind will, aber alles zum möglichst billigen Preis, legt Adam Sandler die gesamte Bandbreite seiner Kunst hin. Er kämpft mit dem Rollstuhl seines beinamputierten Onkels ebenso wie mit seinen Gefühlen für die scheidende Tochter.
Netflix jedenfalls schwört auf sein Werk: „Wann immer wir Sandler-Filme ins Programm nehmen, laufen sie weltweit gut“, beteuert Netflix-Chef Ted Sarandos, der mit dem Schauspieler einen Deal für vier weitere Produktionen abgeschlossen hat. Bisher haben Netflix-User über 500 Millionen Stunden Sandler-Filme gestreamt. Und jetzt hat man ja bekanntlich noch mehr Zeit dafür.
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