Aber die Glocken wurden bejubelt

Aber die Glocken wurden bejubelt
"Landgericht", als bester Roman 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, erzählt dokumentarisch über die schwierige Heimkehr aus dem Exil.

Wie eine ungelüftete Wohnung, die nur aus einem Zimmer besteht, ist "Landgericht".
Ein Bett, ein bulliger Kasten, ein wackeliger Tisch mit Sessel – und vielleicht ein Apfel.
So karg.
Draußen vor der Tür kommen gerade Kirchenglocken zurück, die im Krieg von den Glockenstühlen gerissen worden waren, aber von der Umwandlung in Kriegsmaterial verschont geblieben sind.

Man jubelt.

Auch Richard Kornitzer ist wieder da. Wer freut sich? Seine Ankunft 1947 schmerzt ihn genauso wie 1938 seine Flucht aus Deutschland.
Kornitzer ist Jude.
Jetzt sitzt er in dem Zimmer in Untermiete, er würde sich gern einrichten im neuen, zweiten Leben; und ist vor allem eines: Antragsteller.
Ein Kohlhaas wird er, der sich verrennt.

Er – einst wohlhabender Patentrichter in Berlin, verheiratet, zwei Kinder – wurde entlassen, vertrieben, vernichtet.
Tot wird er sein (1970), wenn sein letzter Versuch, für Mutters Schmuck, den die Gestapo raubte, Entschädigung zu bekommen, "In gütlicher Einigung." 3000 DM.

 

Schlaftabletten

Aber die Glocken wurden bejubelt

Am vergangenen Montag wurde "Landgericht" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die in Berlin lebende Schriftstellerin und Theaterwissenschaftlerin Ursula Krechel setzt fort, was sie in "Schanghai fern von wo" (2008) begonnen hat:

Mit über- und ineinander geschobenen Lebensgeschichten erzählte sie von Vertriebenen, die im asiatischen Schlupfloch die Nazizeit zu überleben versuchen.

Neben dem Bett Schlaftabletten; und vor den Schlaftabletten Ratten, die daran knabbern.

"Landgericht" erzählt dokumentarisch, was nach dem Krieg geschehen ist; aber nimmt sich die Freiheit, ein Roman zu sein.

Richard Kornitzer kehrte nicht aus Schanghai zurück, sondern aus Kuba.

"Er war angekommen. Angekommen, aber wo."

Die Begegnung mit seiner Frau, der man alles wegnahm, weil sie sich nicht scheiden ließ, ist nach zehn Jahren Trennung kühl.

Die Kinder wurden gerettet und wurden bei einer englischen Pflegefamilie groß. Die Eltern sind Fremde geworden, peinliche Fremde, die nur im Sommer kurz besucht werden.

Man wirft Kornitzer vor, er sei kein Deutscher, sondern staatenlos. Aber hallo, er wurde ausgebürgert! Nein, er war nicht auf Urlaub.

Zwar bekommt er bald in Mainz eine Stelle als Richter. Aber wie ist das, wenn man vom Kollegen weiß, dass er bei der NSDAP war?

Über dessen Armprothese sieht Kornitzer einen zweiten – zweifellos eingebildeten – Arm, und der reckt sich zum Hitlergruß in die Luft.

"Landgericht" hält Gericht. Das Buch selbst wird zum analytisch kühlen Zivilrichter, der über ein nicht bereuendes Nachkriegsdeutschland urteilt.

Zu einem Richter, der sich aber auch viel Zeit für den Kläger Kornitzer nimmt. Denn zumindest dadurch soll ihm (und seinesgleichen) späte Gerechtigkeit widerfahren: indem man sich erinnert.

KURIER-Wertung: ***** von *****

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