Abel Ferrara im Interview: "Wir sind in Drogen oder Alkohol beinahe untergegangen"

Abel Ferrara in Cannes
Der US-Regisseur ("Bad Lieutenant") über Musik, Familie, Freundschaft und Hollywood.

Gibt es heute überhaupt noch einen Filmemacher, der mit seinen Filmen wirklich provozieren kann? Abel Ferrara tut jedenfalls (fast) alles, um seinen diesbezüglichen Vorzugsplatz innerhalb der internationalen Regie-Riege zu behaupten.

Aber Abel Ferrara ist nicht einfach der böse Bube Hollywoods. Er sieht sich viel eher als "angry man", als ebenso grimmiges wie nach Rache dürstendes Gewissen jener Amerikaner, die es nicht einmal zum Tellerwäscher, geschweige denn zum Millionär gebracht haben.

Wenn schon nicht mit Hang zur Gewalt, so machte er doch mittels Affinität zu Drogen einer seiner berühmtesten Filmfiguren Konkurrenz: Dem korrupten "Bad Lieutenant". Diese düstere Cop-Saga macht Abel Ferrara Anfang der 1990er-Jahre berühmt. Bis heute ist sein Werdegang als Regisseur von künstlerischen Höhen geprägt – wie etwa "The Funeral" (1996), oder seine Hommage an "Pasolini" (2014) – oder von Abgründen des schlechten Geschmacks, wie sein Film "Welcome to New York" (2014).

Derzeit gefällt sich Abel Ferrara in seiner neuen Rolle als Rock- und Blues-Musiker. Sein Konzert in Toulouse anlässlich einer Retrospektive seiner Filme stellte Abel Ferrara in den Mittelpunkt des Dokumentarfilms "Alive in France", der zuletzt in Cannes präsentiert wurde.

KURIER: "Alive in Paris" ist nicht nur ein Musikfilm, sondern vor allem auch eine Art Selbstporträt eines Maßlosen, der an der Gitarre und als Sänger geradezu handzahm erscheint. Wie ist es dazu gekommen?

Abel Ferrara: Ich kenne Joe Delia und Paul Hipp (seine Mitmusiker, Anm.) seit den 1970er-Jahren. Wir alle sind damals in Drogen oder Alkohol beinahe untergegangen. Aber wir haben einander auf der anderen Seite des Tunnels wiedergefunden – befreit von der ganzen Scheiße. Mein Vater sagte immer, dass man die wahren Freunde in der Schulzeit gewinnt, aber ich meine, dass die wirklichen Kumpels diejenigen sind, die uns aus dem Dreck ziehen.

Sie sagen im Film, dass Sie an der Filmschule gar nichts gelernt haben, weil man Kreativität nicht lernen kann. Wie ist das mit der Musik?

Die Musik besteht aus Kreativität und Handwerk. Man bemerkt bei mir hoffentlich eine gewisse musikalische Begabung, aber leider kann ich nicht wirklich Gitarre spielen, weil ich es nie trainiert habe. Und singen kann ich schon gar nicht. Als Zehn- bis Fünfzehnjähriger hatte ich ständig anderes zu tun, als zu üben – obwohl ich Musik immer geliebt habe.

Sie zeigen in Ihrem Film auch ihre Frau und bezeichnen ihre kleine Tochter als "die neue Priorität" in Ihrem Leben.

Ich bin zum zweiten Mal verheiratet und ich sehe meine neue Familie als Geschenk – vor allem meine kleine Tochter. Vielleicht werden Sie es kitschig finden, wenn ich sage: Ich fühle mich, als wäre ich nach einem langen Weg durch einen dunklen Wald endlich an der Lichtung angekommen (lacht schallend). Ich fühle mich als Glückspilz, der einen ganzen Haufen Scheiße überlebt hat.

Ist es schwer, im Filmbusiness Freundschaften und auch eine Ehe zu bewahren?

Warum glauben immer alle, dass diese Schwierigkeiten typisch für das Showbusiness sind? Ich glaube, dass es für Installateure und Tischler ähnlich schwierig ist, Freundschaften und Familie zu bewahren. Alle glauben, dass es in Hollywood nur Neid und Eifersucht gibt und jeder, der einem anderen den Rücken kehrt, sofort ein Messer drinstecken hat. Aber das kommt wahrscheinlich überall vor, wo es keine Chancengleichheit gibt.Sie sprechen im Film vom Paradoxon des Alters: Sie sind Mitte 60 und fühlen sich wie Anfang 20. Ist das mit ein Grund dafür, dass Sie jetzt auf einer Konzertbühne stehen? Weil die Rolling Stones auch schon viele Jahre auf dem Buckel haben und von der Jugend trotzdem akzeptiert werden?

Musik zu machen gibt tatsächlich Energie und ich liebe es auch, ab und zu auf einer Konzertbühne zu stehen – aber mein eigentliches Metier ist das Regieführen. Für mich ist Musik eine Art Viagra, das mir Energie verleiht, und solange ich noch die Energie habe, werde ich also weiterhin Filme machen. Für mich sind "over and next" die wichtigsten Worte der englischen Sprache. Wenn etwas einmal vorbei ist, soll man sich auf das Nächste konzentrieren. Und zwischen "over" und "next" liegt der Moment, in dem wir leben.

(Von Gabriele Flossmann)

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