60 Jahre Bild: Papst-Freund und Puffgänger

60 Jahre Bild: Papst-Freund und Puffgänger
Ein Jubiläum für Deutschlands größte Zeitung. Der Erfolg des Boulevards war aber stets ein moralischer Grenzgang.

Die Groteske offenbart sich schon am Eingang zur Berliner Zentrale der Bild-Zeitung. Wo in großen Lettern steht: "Sie betreten jetzt den Boden der Tatsachen". Das entspricht einer Erkenntnis, als propagierte eine Armee die waffenlose Gesellschaft. Oder ist es gar Selbstironie?

Kaum vorstellbar. Erst vor wenigen Tagen druckte Deutschlands größte Zeitung das Foto einer jungen Frau, die ermordet worden war. Nur: Auf dem Bild war gar nicht das Opfer zu sehen, sondern eine quicklebendige Studentin. Die will nun gegen das Blatt vorgehen.

Geschichten wie diese passieren. Aber sie passieren Bild in der Gier nach Exklusivität und Emotion eben öfter als anderen. Ein Viertel aller Presserat-Rügen mit dem Tatbestand Skandaljournalismus gehen auf das Bild-Konto. Und dennoch bleibt der Fall wie jener der lebenden Toten am Ende nur ein Kollateralschaden. Der täglich von rund 11,6 Millionen Lesern bestenfalls am Rande registriert wird. Und das seit exakt 60 Jahren.

In 44 Ländern weltweit ist Bild erhältlich. Speziell in den Urlaubsorten ist die Vorstellung von deutschen Touristen ohne die 400x570 Millimeter Boulevard-Papier vor der Nase so undenkbar wie Pommes ohne Majo. Passend dazu die Worte von Hans Magnus Enzensberger, der einst sagte: "Bild ist ein Blatt, das nicht jedem etwas bietet, sondern allen nichts."

Viele Bilder

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Am 24. Juni 1952 präsentierte Axel Springer als Herausgeber seine Nr. 1, als "gedruckte Antwort auf das Fernsehen." Vier Seiten um zehn Pfennig, Gesamtauflage 455.000 Stück. Die Idee: Viele Bilder und ein leicht verständlicher Mix aus Politik, Tratsch und Sport.

Ein Konzept, das im Laufe von sechs Jahrzehnten von insgesamt 13 Chefredakteuren immer wieder leicht modifiziert wurde. Das sich aber stetig am schmalen Grat zwischen Aufdeckertum und mangelnder Sorgfaltspflicht, zwischen Wortwitz und Brachialsprache, zwischen Starkult und Missachtung von Persönlichkeitsrechten bewegt. Medienexperte Bernd Gäbler sagte: "Bild will immer alles gleichzeitig sein: die eigentliche Bundesregierung und der Gerichtshof der kleinen Leute, hässlicher Denunziant und großzügiger Stifter von Versöhnung, Papst-Freund und Puffgänger, Wühler im Dreck und Moralist." Polarisieren als Credo. Für Chefredakteur Kai Diekmann ist das die Arbeitsgrundlage: "Das gehört zum Markenkern. Wir wollen unbequem sein, wollen aufregen. Journalismus ist kein Beliebtheitswettbewerb."

Ende der 1970er-Jahre erreichte Bild mit 5,8 Millionen den Auflage-Zenit. Mittlerweile hat sich diese Zahl auch in Folge des Internets halbiert. Die Zeitung (mit rund 1000 Redakteuren) erscheint Montag bis Samstag in einer Bundesausgabe sowie in 27 Regional- und Stadtausgaben. Aber: Wer liest sie? Polemisch betrachtet: Offiziell fast niemand, inoffiziell fast jeder. Im Detail ergab eine Studie jedoch, dass deutlich mehr Männer (63 Prozent) auf BILD nicht verzichten wollen, oder dass nur vier Prozent der Leser Hochschulreife besitzen.

Die angewandte Sprache lebt von Verknappung und Vereinfachung. Der Journalist Wolf Schneider belegte, dass 47 Prozent der Bild-Sätze nur vier oder weniger Wörter haben. Eingebettet in Superlative, Imperative und Metaphern, abgerundet durch Rufzeichen ("UFO-Sekte will Hitler klonen!") oder Fragezeichen ("Macht Hartz IV faul?"). Umso klarer erscheinen daher die Parameter für die Stoßrichtung.

Attentat

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1.  Skandale. Wie 1968, als Rudi Dutschke nach heftigem Bild-Trommelfeuer gegen die Studentenbewegung angeschossen wurde. Viele machten damals die Zeitung für das Attentat teilverantwortlich ("Bild schoss mit").

2. Öffentliche Dispute. Wie jenen mit Günter Wallraff, nachdem der unerkannt als BILD-Reporter gearbeitet hatte, um danach ein Enthüllungsbuch über die gnadenlos unseriösen journalistischen Praktiken zu schreiben. Die Prozesse zogen sich über Jahre.

3. Kampagnen. Wie zuletzt jene gegen Christian Wulff, die im Rücktritt des Bundespräsidenten gipfelte.

An all dem wird sich wohl auch die nächsten 60 Jahre nichts ändern. Max Goldt schrieb einmal: "Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen." Aber das ist bestenfalls die moralische Fußnote einer sensationslüsternen Erfolgsgeschichte.

Wussten Sie, dass . . .?

... BILD elf weitere Publikationen unter seinem Markennamen und mit eigenständigen Redaktionen führt, u. a. Bild am Sonntag, Bild der Frau, Sport Bild oder Auto Bild?

... BILD auch auf Mallorca gedruckt wird, sowie auf Gran Canaria, in Madrid, Mailand, in Bulgarien und der Türkei?

... BILD die meisten Leser in Hamburg, und die wenigsten in Bayern hat?

... nur 8,1 Prozent der Abiturienten und Studenten BILD-Leser sind?

... keine Zeitung Deutschlands so viel Sport hat wie BILD? Rund ein Viertel aller Redakteure arbeiten für die Sportressorts?

... 27 Prozent der BILD-Fläche mit Tratsch und Klatsch über Prominente bedruckt wird?

... für die BILD-Aktion "Ein Herz für Kinder" bis heute ca. 80 Millionen Aufkleber verteilt wurden?

... anlässlich des Geburtstags gestern "BILD für alle" produziert und je ein Gratisexemplar an 41 Millionen Haushalte zugestellt wurde? 250.000 Menschen haben jedoch vorab widersprochen und auf das Aktionsblatt verzichtet.

... anlässlich des Geburtstags ein BILD-Buch in limitierter Auflage erschienen ist? Elf Kilo schwer, aus 300 Metern Papier, mit 700 Schlagzeilen, ausgewählt aus 18 000 Seiten.

... anlässlich des Geburtstags Justin Bieber für ein Spezial-Konzert eingeflogen wurde?

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