50 Jahre Porno, Ironie und Utopie

Aus "Hokus Focus Trilogus", 1989
Renate Bertlmann, ewig junge Pionierin der Feministischen Avantgarde

Links neben dem Besprechungszimmer im sechsten Stock hängt der "Indiskrete Charme der Bourgeoisie", ein aus Gips, Draht, Ölfarbe und Plexiglas gefertigtes Bild einer Vagina. Unweit der Mitarbeiter-Kantine, wo es schon ein wenig nach Mittagessen riecht, läuft der Film "Entjungferung in 14 Schritten" (er zeigt eine schwangere Braut im Rollstuhl), daneben ist in einem Schaukasten das Objekt "Unverschämter Schmetterling" zu bewundern, ein mit Flitter verzierter geflügelter Dildo.

50 Jahre Porno, Ironie und Utopie
bertlmann
Die Künstlerin Renate Bertlmann recherchiert für ihre patriarchats- und gesellschaftskritischen Werke oft im Sex-Shop. Auch ihr "Patronengürtel", eine filigrane Zeichnung eigenwilliger Kondommodelle, hat dort seinen Ursprung. Für die Wand vor dem Büro des Vorstandsvorsitzenden hat Bertlmann allerdings ein für ihre Verhältnisse ungewohnt friedliches Kunstwerk ausgewählt: die Fotografie "Engel der Wahrheit" ist eine ruhige Kontemplation – im Vergleich zu den mit Messern versehenen Brüsten etwa oder dem Kinderwagen, der zugleich Sarg ist: "Rosemary’s Baby" soll ambivalente Muttergefühle darstellen.

Shoppinggelüste

Ab heute sind Bertlmanns Werke in der sogenannten "Vertikalen Galerie" zu sehen – eine vornehme Umschreibung für das Stiegenhaus des Verbund-Gebäudes am Hof (zugänglich auch für die Öffentlichkeit). Der Strom- und Gasanbieter betätigt sich auch als Kunstsammler. Früher wurde nach Geschmack des jeweiligen Vorstandes ausgewählt. Seit zwölf Jahren ist Gabriele Schor für den Kunstankauf zuständig und hat Ordnung in die Shoppinggelüste des Energieanbieters gebracht. Die ehemalige Kunstkritikerin, die unter anderem die erste Birgit-Jürgenssen-Monografie heraus gebracht hat, setzt sich besonders für zeitgenössische feministische Kunst ein und hat den Begriff "Feministische Avantgarde" gewissermaßen erfunden. Denn die Arbeit von Frauen, in der Kunstgeschichte generell unterrepräsentiert, sei in Avantgardeabhandlungen so gut wie nicht vorhanden, sagt Schor.

Dank ihr ist die Sammlung Verbund nun um 40 Werke der Wienerin Renate Bertlmann reicher, einer Künstlerin, die in den 1970ern mit ihren Aufsehen erregenden Bildern, Objekten und Performances international gewürdigt, vom Markt allerdings wenig beachtet wurde. Verbittert ist Bertlmann angesichts ihrer zähen Karriereentwicklung nicht: Die 72-Jährige, die zwanzig Jahre jünger wirkt, sagt, sie neige nicht zu derartigen Gefühlen. Höchstens "ein bissl traurig" sei sie manchmal. "Ich sehe oft wo eine Ausstellung, wo ich mir denke, da würd ich auch gut hineinpassen."

Unter dem Titel "Amo Ergo sum" ("Ich liebe, also bin ich", einer Kampfansage an Descartes’ "Ich denke, also bin ich") ist im Verbund nun ein Ausschnitt aus Bertlmanns Werk zu sehen, das sich seit fünf Jahrzehnten mit Pornografie, Ironie und Utopie beschäftigt. Der kämpferische Untertitel der Schau, "ein subversives Politprogramm", ist programmatisch zu verstehen.

Die Ausstellung wird von einem opulenten Katalog begleitet, herausgegeben von Gabriele Schor und Tate-Modern-Kuratorin Jessica Morgan. Gewidmet ist er Renate Bertlmanns Mann Reinhold, der seine Frau seit Jahrzehnten fotografisch begleitet.

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