25 Jahre Amour Fou: „Über die Grenzen hinaus produzieren“
Man muss die Feste feiern, wie sie fallen – auch in Zeiten von Corona. Die Filmemacher Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu haben vor 25 Jahren die luxemburgisch-wienerische Produktionsfirma Amour Fou gegründet. Anlässlich dieses Jubiläums blicken sie auf ein Vierteljahrhundert erfolgreicher Produktionsgeschichte von rund einhundert Filmen zurück.
Dazu zeigt das Film Archiv Austria eine sechsteilige Online-Retrospektive (siehe Infokasten). Alexander Dumreicher-Ivanceanu wurde zudem zum Obmann des Fachverbandes für Film- und Musikwirtschaft in der Wirtschaftskammer gewählt und vertritt dort die Interessen von rund 6000 Firmen.
KURIER: Sie haben 1995 in Luxemburg und einige Jahre später in Wien Ihre Filmfirma Amour Fou gegründet. Warum beide Standorte?
Bady Minck (BM): Eigentlich haben wir die Amour Fou gegründet, um meine Filme zu produzieren. Die Produktion von 100 Filmen, die wir bis heute gemacht haben, hatten wir gar nicht vor (lacht). Die ersten Jahre verbrachten wir mehr in Luxemburg, dann sahen wir uns in Wien um. Hier haben wir uns dann mit Gabriele Kranzelbinder (jetzt Geschäftsführerin der KGP – Kranzelbinder Gabriele Production) und dem Filmemacher Virgil Widrich zusammen getan. So wurde 2001 AMOUR FOU Vienna gegründet.
Alexander Dumreicher-Ivanceanu (ADI): Eine Luxemburgerin und ein Österreicher gründen eine Produktionsfirma: Es ging uns von der ersten Sekunde an darum, dass wir international arbeiten. Koproduktionen sind unsere DNA: Wir wollten über die Grenzen hinaus produzieren, und das war etwas Spezielles. Es war vielleicht auch kein Zufall, dass es im Jahr 1995 passierte, als Österreich der EU beigetreten ist.
Herrschte damals so etwas wie Aufbruchsstimmung?
ADI: Ja, und das war toll. Es entstanden neue Firmen wie die Navigator Film, die NFG – Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion, die coop99. Die österreichische Produktionsstruktur war in den 80er Jahren ziemlich hermetisch. Es gab kaum internationale Koproduktionen.
Koproduktionen waren also nicht üblich?
BM: Nein, es war beispielsweise auch gar nicht üblich, Filme auf Englisch zu drehen.
ADI: Zudem war Filmproduktion ein Meisterberuf, das heißt, man musste in der Wirtschaftskammer eine Prüfung ablegen. Erst durch den EU-Beitritt wurde es zu einem freien Gewerbe. Es gab eine Filmfirma, der wir uns verbunden gefühlt haben, das war die Wega Film und ihr Gründer Veit Heiduschka. Er hat die Filme von Michael Haneke produziert, und das war bahnbrechend. Das war eine von den alteingesessenen Firmen in Wien, die international gedacht haben und für das Autorenkino eintraten.
Im Jahr 2003 liefen vier Filme der Amour Fou in Cannes. War das ein Meilenstein?
BM: Ja, und auch das war nicht geplant. Wir haben einfach jeden Film, der fertig wurde, in verschiedenen Sektionen auf dem Festival in Cannes eingereicht. Zuerst kam die Einladung für meinen Film „Im Anfang war der Blick“, dann für „Struggle“, Ruth Maders Abschlussfilm an der Filmakademie, dann unsere Koproduktion „Pas de repos pour les braves“ von Alain Guiraudie und zum Schluss noch Virgil Widrichs „Fast Film“. Wir haben jedes Mal gefeiert, nur am Schluss nicht mehr: Da hatten wir Stress (lacht).
ADI: Das Jahr in Cannes war der Durchbruch. Nach diesem Kometeneinschlag haben wir auf internationaler Ebene eine Sichtbarkeit bekommen, die wir vorher nicht hatten.
Welche Ihrer Filme zählen zu den Meilensteinen?
ADI: Sicherlich acht Jahre später die Produktion von „Hannah Arendt“ unter der Regie von Margarethe von Trotta, mit der wir aktuell an einem Spielfilm über Ingeborg Bachmann arbeiten. Historische Filme sind aufwendig, weil man eine Realität herstellen muss. Damals haben wir das Know-how erarbeitet, als Produzenten solche Filme stemmen zu können. Danach konnten wir dann Filme wie Jessica Hausners „Amour Fou“, Dieter Berners „Egon Schiele: Tod und Mädchen“ oder Virgil Widrichs „Die Nacht der 1000 Stunden“ machen. Jetzt arbeiten wir gerade mit der Freibeuterfilm an Stefan Ruzowitzkys neuem Film „Hinterland“: Er spielt in Wien von 1922, wo eine Mordserie stattfindet. Über Wien liegt noch der Schatten des Ersten Weltkriegs und gleichzeitig die Aufbruchsstimmung der 20er Jahre – es ist ein Noir-Film im besten Sinne.
Man hört immer wieder den Vorwurf, dass „Festivalfilme“ kein heimisches Publikum finden. Wann ist ein Film erfolgreich?
ADI: Natürlich wollen wir in Österreich ein Publikum finden, aber wir machen Filme, die über Österreich hinausgehen. „Hochwald“ von Evi Romen hat den Golden Eye Award in Zürich gewonnen und wurde nach Deutschland, in die USA, nach England und Polen verkauft.
BM: Es ist auch absurd, zu behaupten, dass ein Film nur in Österreich Publikum braucht. Ist doch toll, wenn österreichische Kreativität in alle Welt exportiert wird. Wir verkaufen unsere Filme in 30 bis 50 Länder. Warum zählt denn nur österreichisches Publikum? In Österreich hat die Kinolandschaft hohe Konkurrenz. Es gibt Oper, Theater, Konzert – und nicht die Tradition, jede Woche ins Kino zu gehen und auf Partys über Filme zu sprechen. In Paris hingegen, wenn du da die letzten drei wichtigen Filme nicht gesehen hast, kannst du dich unterm Tisch verstecken.
Was halten Sie von der Forderung, Filme von Frauen mithilfe der Quotenregelung zu fördern?
ADI: Ich bin dafür, weil sich sonst nichts ändert. Die Details muss man sich anschauen, aber insgesamt sieht man an der Filmbranche, dass es immer noch nicht gelungen ist, ein paritätisches Verhältnis herzustellen. Besonders in den Nuller- und Zehnerjahren habe ich immer wieder gehört, wenn es darum ging, den Film einer Regisseurin zu finanzieren: „Dieses Budget ist zu hoch. Wir müssen die Regisseurin vor sich selbst schützen.“ Das war unglaublich. Niemand würde das je über einen Regisseur sagen.
BM: Von all unseren Filmen stammen etwas mehr als die Hälfte von Frauen. Aber gerade in der Vergangenheit war es unglaublich schwer, Projekte von Frauen durchzusetzen. Das hat sich geändert, was ein Fortschritt ist.
Herr Dumreicher-Invanceanu, Sie wurden zum Obmann des Fachverbandes Film- und Musikwirtschaft in der Wirtschaftskammer gewählt. Was sind Ihre Forderungen – gerade in Zeiten von Corona – an die Politik?
ADI: Österreich war mit der Einrichtung des Ausfallsfonds ein Vorreiter und hat das Drehen in der Corona-Krise als eines der ersten Länder in Europa möglich gemacht. Das ist extrem wichtig, auch, weil es 2021 nicht genügend Filme geben wird. Wir könnten 2021 eine riesige Offensive für den österreichischen Film starten, aber es fehlt uns eine Finanzierungssäule. Ich plädiere dafür, eine Investitionsprämie mit einem grünen Bonus einzurichten. Das heißt: Wenn in Österreich – egal welches Projekt – gedreht wird und Geld in die heimische Wirtschaft fließt, erhält man eine Investitionsprämie. Investitionen in die österreichische Filmwirtschaft sollen belohnt werden. Der heimische Film beschäftigt nach aktuellen Studien bundesweit 15.000 Menschen. Das Land muss wieder starten, und die Filmwirtschaft mit ihren vielen kreativen Talenten wäre ein toller Motor dafür.
Amour Fou
Die Filmemacherin Bady Minck und der Filmkritiker Alexander Dumreicher-Ivanceanu gründeten 1995 die Amour Fou. Das Budget ihrer Filmprojekte liegt zwischen 200.000 Euro und
8 Mio. Euro. Der neueste Film „Hochwald“ von Evi Romen soll im Jänner ins Kino kommen
Filme online
Das Film Archiv Austria zeigt unter www.filmarchiv.at bis 3.12. sechs Filme in unterschiedlichen Zeitfenstern. Unter kurier.vodclub.online kann man Filme wie „Styx“, „Egon Schiele: Tod und Mädchen“ oder „Amour Fou“ ausleihen
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