Zwischen Speck und Paprika

"ÜberLeben": Stammbuch, Teil 1
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Wissen Sie noch, was ein Stammbuch ist? Für die Älteren: Ein Stammbuch ist das, was Sie „Poesiealbum“ nannten. Für die Jüngeren: Ein Stammbuch ist wie ein ausgedrucktes Facebook in Reimen, in das man die Katzenbilder selber hineinzeichnen muss.

Beim Ausmisten meines Bücherregals – ich lese die meisten Bücher nur einmal und schenke sie danach her – ist mir mein Stammbuch in die Hände gefallen. Der Einband zeigt stilisierte Blumen in verschiedenen Rottönen und erinnert an das, was in den Siebziger-Jahren tatsächlich in Tapetenform an Wände geklebt wurde oder sich als Großmutter-Badehaube materialisierte.

Der erste Eintrag ist vom 2. April 1977, meine Mutter, immer ernsthaft und gebildet, zitiert in schöner Schrift Goethe. In seinem Gedicht findet sich tatsächlich die Formulierung „weibisches Zagen“, beim Lesen habe ich direkt Angst, dass irgendein politisch korrekter Twitterant aus meinem Handy kriecht, einen Stift nimmt und die bösen Wörter durchstreicht (aber vermutlich versteht der „Zagen“ gar nicht). Die Schwester meiner Mutter, meine Tante, schrieb „Wenn ich bin in Afrika/zwischen Speck und Paprika/wenn mich auch die Löwen fressen/dich werde ich nie vergessen.“ Während ich das lese, wird mir das Herz schwer, denn meine Tante ist inzwischen an einer Überdosis Leben gestorben.

Mein Großvater, der ein religiöser Fanatiker war, schreibt natürlich von Gott, meine Großmutter rät mir zu Fleiß und Pflichtbewusstsein. Was ihre Mutter, meine Urgroßmutter, mir schrieb, kann ich nicht lesen, ihre Schreibschrift aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist mir unbekannt. Meine andere Großmutter rät mir in ihrer berüchtigten Ärzte-Schrift (die kann ich lesen) und mit dem ihr eigenen resignativen Sarkasmus, Goethe zitierend: „Wonach soll man am Ende trachten/die Welt zu kennen und sie nicht zu verachten.“ Und sie fügt hinzu: „Du wirst sehen, es stimmt.“ Und ich sehe,  es stimmt.

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