Zeig mir deine Kramurilade und ich sag dir, wer du bist
Mein Göttergatte wuchs auf der Wiener Mariahilfer Straße auf. Die kennt man zwar in ganz Österreich, doch wenn wir über gewisse Dinge der Haushaltsführung sprechen, scheint mir, als käme er von einem anderen Planeten. „Schaaaaatz, wo sind die Gummiringerl?“, fragte er unlängst. „In der Kramurilade“, antwortete ich. „Was?“ – „In der Kramurilade!“, schrie ich lauter. „Was?“, antwortete er perplexer, und als sich herausstellte, dass er schlichtweg nicht weiß, was eine Kramurilade ist, war ich entsetzt.
Die Kramurilade ist mehr als ein Wort, sie ist ein Konzept, ein überlebenswichtiges und wunderhaltiges Element der menschlichen Sesshaftigkeit. Jeder Mensch besitzt eine. Sie doch sicher auch, oder? Ich spreche von jener Schublade oder auch Box, jener Truhe, jenem Regalfach, in dem all das Klumpert aufbewahrt wird, das man so häufig verwendet, dass es nie eine andere Aufbewahrung fand.
Bereits als Kind faszinierten mich die Kramuriladen der Familie. Dort fanden sich abenteuerliche Dinge wie Schlüssel zu verbotenen Kammern. Batterien, die lautes Spielzeug zum Leben erweckten. Fantasieanregende Gegenstände wie Taschenlampen, Einweghandschuhe, Streichhölzer. Besonders aufregend war die Kramurilade im Jugendzimmer meines Onkels: Dort gab es grauslich-glitschige, längliche Luftballons in vielen bunten Farben, aber auch Zigarren, von denen wir Kinder eine fladerten und im Maisfeld anzündeten.
Noch zwanzig Jahre später wird mir schlecht, sobald ich Zigarrenrauch rieche, noch zwanzig Jahre später schaue ich leidenschaftlich gern in die Kramurilade anderer Leute. In der meinigen finden sich übrigens Masken, Leckerli, Gackisackerl, Stifte, Blöcke, Zeitungsartikel, Gummiringerl und Kaugummis mit Zimtgeschmack. Ich glaube, kein anderer Ort erzählt so viel über uns wie dieser. Daher: Zeig mir deine Kramurilade und ich sag dir, wer du bist.
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