Neulich in der Modeboutique

Dr. S., Sprachpurist von Dudens Gnaden, ist verärgert.
Auf der Suche nach einem neuen Sakko (seinem ersten seit 15 Jahren übrigens) betritt er das Modegeschäft, das ihm sein Chef dringend empfohlen hat. Rasch ist ein Exemplar gefunden, das die modischen Defizite des bekleidungstechnisch fragwürdigen Juristen beheben könnte.
Doch dann das: „Liebe Kunde, darf ich Ihnen in das Teil helfen?“, bietet die freundliche Verkäuferin an. Weder sei er eine Kunde noch wolle er sich in ein Teil helfen lassen, entrüstet sich Dr. S. und bläst den Kauf des Blazers kurzerhand ab. Was uns zur spannenden Frage führt, ob sich Dr. S. über die Diktion der liebenswerten Verkäuferin zu Recht echauffiert hat oder nicht.
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Die beiden Wörter „Kunde“ und „Teil“ teilen eine Besonderheit: Abhängig vom Artikel haben sie jeweils zwei verschiedene Bedeutungen. Der Kunde ist jemand, der einkauft, die Kunde hingegen eine Nachricht, die einem zugetragen wird (vgl.: jemandem etwas kundtun).
Aber: In Österreich hat sich „die Kunde“ auch als Bezeichnung für den Käufer, also die Kundschaft, durchgesetzt, sodass selbst der strenge Duden diesen Zweifelsfall zugunsten der Verkäuferin zulässt.
Auch das Wort „Teil“ gibt es in männlicher und sächlicher Ausführung. Der Teil ist immer als Untermenge eines Ganzen zu sehen (vgl. der Erdteil), während das Teil ein loses Stück bezeichnet (vgl. das Puzzleteil).
Einen Sonderfall stellt „das Hinterteil“ dar: Definitionsgemäß müsste es, da es sich ja um einen Teil des ganzen Körpers handelt, „der Hinterteil“ heißen. Mögliche Erklärung: Auch der Hintern ist maskulin – somit könnte es sich um eine Analogiebildung handeln, und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.
Was lernen wir aus der Geschichte? Hätte die Verkäuferin gegenüber Herrn Dr. S. ihre Hilfsbereitschaft mit den Worten „Lieber Kunde, darf ich Ihnen in den Teil helfen“ zum Ausdruck gebracht, hätte sie zwar einen sprachlichen Fehler begangen, aber dafür ein Sakko mehr verkauft.
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Fundstück der Woche: „Rumpsteak für den Kenner mit Fettrand.“ (Aus der Speisekarte eines Restaurants in München)
Wolfram Kautzky ist Philologe und geht gerne den Wörtern auf den Grund.
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