Über den Proll den Proletarier vergessen

Die grauen Seiten dieser Stadt. Und ein echter Wiener, dessen Andenken ihm nicht gerecht wird.
Barbara Beer

Barbara Beer

Drei Buchempfehlungen. Drei Bücher, die (auch) von den grauen Seiten dieser Stadt erzählen. Von den Hitlerfans und davon, wie viele nach Kriegsende gleich wieder in die Opferrolle verfielen und wie Profiteure des Nazi-Regimes auch nachher noch ganz gut davon lebten. „Der Riss der Zeit geht durch mein Herz“ von Herta Pauli und „Vier Schwestern“ von Ernst Strouhal (beide Zsolnay). Und dann ist da das Buch über Toni Spira (Falter-Verlag). Eine wunderbare Biografie, aufgeschrieben von der Journalistin Stefanie Panzenböck, deren einfühlsame, originelle Interviews ich sehr mag.

Die Spira also. Erfinderin des Sozialpornos hat man sie genannt. Sie hat die ungeschminkten Seiten dieser Stadt nicht nur gezeigt, sondern ja, auch inszeniert. Die Wamperten auf der Donauinsel und vor dem Würstelstand gefilmt, von unten, damit sie noch schiacher sind. Viele haben sich das gern angeschaut, viele hat das aufgeregt. Ob die Spira die Menschen, die sie hergezeigt hat, auch gern gehabt hat, weiß ich nicht. In ihrer Biografie liest man, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte, von den Nazis verfolgt wurde.

Sie sagte: „Auf der Flucht sein heißt, nie mehr wieder Heimatidylle zu vertrauen.“

Apropos Heimatunidylle, Apropos Mundl. Nein, nicht Karl Merkatz, der war nicht der Mundl, wollte es auch nicht sein. Aber die Figur des Edmund Sackbauer hat er geprägt und wenn wir uns das jetzt zu Silvester wieder anschauen, werden wir traurig sein. Traurig, weil der heutige ORF sich so was nicht mehr traut. Nur billigen (oder wahrscheinlich eh teuren) Volksdümmlichkeitskäse.

Traurig aber auch, weil vom Mundl das Falsche übrig ist. Nur die Watschen- und Bier-und deppert-Sager. Aber über den Proll hat man den Proletarier vergessen. Den Hackler, der nicht einmal ein eigenes Bad hatte. So war das damals in Wien. Zimmer, Kuchl, Kabinett. Klo am Gang. Heute: Urlaub, Auto, Badezimmer. Dafür haben auch Leut’ wie der Mundl gekämpft.

Der Mundl war mehr als sei’ deppertes Bier.