Stadtgeflüster: (Soziale) Kälte
Es war vorige Woche, ich war in Manchester, im Nordwesten Englands, als mir eine Frau auffiel, die sich lange mit einer Obdachlosen unterhielt. Die junge Frau saß in einen Schlafsack eingewickelt und an einen Mistkübel gelehnt vor einem Supermarkt. Die Passantin und die junge Obdachlose sprachen längere Zeit miteinander. Länger, als ich das aus Wien kenne.
Am selben Tag bemerkte ich einen jungen Mann, der sich Essen von einem Burgerladen holte und auch einem älteren Mann, der sichtlich auf der Straße lebte, einen Burger abgab. Ich war beeindruckt von den Bürgern Manchesters, weil mir vorkam, dass sie sich besonders um „ihre Obdachlosen“ kümmern. Erst am nächsten Tag begriff ich, dass die Stadt ein massives Problem mit Obdachlosigkeit hat.
Menschen, die keine Wohnung haben, campieren bei Minusgraden in Zelten auf dem Gehsteig. Andere schlafen in Schlafsäcken und Decken gewickelt in Haus- und Geschäftseingängen, die sie zumindest ein bisschen vor Wind und Wetter schützen sollen. Wieder andere schlafen nur mit Schlafsack und Haube auf dem Kopf auf einer Matratze auf dem Asphalt.
Warum? Großbritannien erfährt aktuell eine „Wohn-Krise“. Immer mehr können sich keine Wohnung mehr leisten und landen auf der Straße, es gibt viel Immobilien-Spekulation, staatliche Institution kümmern sich zu wenig um Wohnungslose. 449 obdachlose Menschen sind vergangenes Jahr in Großbritannien gestorben. Das ist mehr als ein toter Obdachloser pro Tag.
Vielleicht mag uns irritieren, dass Wien mit dem Winterpaket, das hunderten Obdachlosen in der kalten Jahreszeit einen warmen Platz zum Schlafen verschafft, vor allem Menschen aus unseren östlichen Nachbarländern versorgt – und jene aus den Bundesländern, wo es viel zu wenig Notplätze für Obdachlose gibt. Aber wir könnten uns auch darüber freuen, dass unsere Stadt nicht wegschaut. Dass in Wien niemand im Winter auf der Straße nächtigen oder in Zelten auf dem Gehsteig campen muss. Dass niemand bei uns im Winter erfrieren muss.
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