Fluchtversuche vom Land in die Stadt - und umgekehrt

Er flüchtet bei erstbester Gelegenheit aus der Stadt zurück aufs Land. Sie unternimmt Fluchtversuche vom Land in die Stadt.
Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Stadt, Land, Flucht – wer flüchtet hier eigentlich? Und, wenn ja, von wo oder wovor? Wohin? Bei uns daheim ist der Sachverhalt in der Stadt und auf dem Land eindeutig.

Der Lieblingsmann flüchtet bei der erstbesten Gelegenheit aus der Stadt zurück aufs Land. Ich hingegen unternehme immer wieder schlecht getarnte Fluchtversuche vom Land in die Stadt.

Er fährt stolz mit seinem Autokennzeichen JE in die Stadt

Ich ducke mich auf dem Beifahrersitz, wenn wieder jemand den „Burgenländer“ anhupt. (Sie müssen sich übrigens nicht einer Bildungslücke bezichtigen, falls Ihnen „JE“ gar nichts sagt, ich kenne da einige, die fragend schauen. JE steht für Jennersdorf, also die rechte untere Ecke von Österreich.)

JE ist dort, wo fast immer die Sonne scheint, die Maulwürfe noch glücklich und die Menschen entspannt sind. Wir betreuen dort unsere Bio-Streuobstwiesen, Obstbäume, Beerensträucher und Uhudlerreben.

Wer 58 verschiedene Apfelsorten hat, hat naturgemäß auch viele verschiedene Apfelsäfte. Jeder schmeckt anders, jeder hat seinen eigenen Charakter. Und weil wir die nicht alle allein trinken, teilen wir sie gern mit den Menschen in der Stadt.

Fröhlich pfeifend

Daher packt der Lieblingsmann im Advent jeden Donnerstag die besten Säfte, Trockenfrüchte, Fruchtmuse ... in den Kofferraum und mich auf den Beifahrersitz. Dann setzt er sich in sein JE-Auto und fährt freiwillig, fröhlich pfeifend in die Stadt.

Dort präsentiert er dann jeden Freitag- und Samstagnachmittag unsere Biosäfte in der Floristikhandlung „zweigstelle“ in der Porzellangasse, mit ein- und ausladenden Gesten, wortreich-blumigen Kommentierungen und einem Strahlen in den Augen, als wäre er selbst die Sonne, die er aus dem Südburgenland mitgebracht hat. Ich stehe daneben und freue mich, dass die Stadt zumindest im Advent die Anziehungskraft hat, den Lieblingsmann und mich gemeinsam herzulocken.

Vergangenen Donnerstag waren wir sogar für paar Minuten auf einem dieser Glitzeradventmärkte, die er sonst großräumig umgeht. Wir aßen Maroni und bestaunten die Weihnachtsbeleuchtung. Genau genommen nicht wir, sondern ich. Der Mann aß Langos und rollte die Augen ob des kitschigen Beleuchtungskonzepts.

Hineingestolpert

Vielleicht rollte er auch nur deshalb die Augen, weil wir unmittelbar davor beim Augenarzt zur Kontrolle waren. Und vielleicht besuchten wir auch nur deshalb den Adventmarkt, weil dieser sich direkt vor der Eingangstür zur Augenarztpraxis befand und wir nicht anders konnten, als hineinzustolpern. Aber ich habe es genossen und mir vorgestellt, es wäre ein vorsätzlicher, romantischer Ausflug in die Stadt.

Freitag und Samstag blieben wir in der Stadt und präsentierten die Produkte von unserer Streuobstwiese.

Sonntagfrüh sagte er: „Ciao, ich fahr’ heim.“

Und ich: „Ich glaub’, ich hab’ hier noch zu tun, ich komme nach.“

Birgit Braunrath betreibt mit ihrem Mann einen Biohof im Südburgenland. www.wunderbarestreuobstwiese.at.

Kommentare