Paaradox: Kopfnoten
Sie
Und weil ich vergangenen Sonntag nichts Besseres zu tun hatte, bürstete ich den Hund. Fünf Minuten später türmte sich auf dem Boden des Wohnzimmers ein Berg schwarzen Flaums, der seiner Entsorgung haarte, äh: harrte. In diesem Moment musste ich ans Herrli gegenüber denken, das sich vor vielen Jahren dazu entschlossen hat, kein Fall mehr für alle Felle zu sein und sich in einem Anflug spontaner Umgestaltungslust in einen Glatzenträger verwandelte.
Haarsträubend
Ich weiß noch, wie ich auf die Mäharbeit reagiert habe, als er mich, frisch gestylt, küssen wollte: „Hey, Sie da – ich schmuse nicht mit fremden Männern!“ Danach fragte ich ihn, ob er das jetzt ernst meine, worauf er einen haarsträubenden Vortrag über den Erotikfaktor „Glatze“ hielt – siehe Marlon Brando, „Kojak“ Telly Savalas und, eh klar, Bruce Willis. Homer Simpson hat er übrigens nicht erwähnt. Wie auch immer: Die neue Kopfnote war gekommen, um zu bleiben. Er fand sie „hot“, ich stöhnte „Oh Gott.“ Nach einer gewissen Eingewöhnungsphase fand ich mich damit ab, heute kann ich es mir gar nicht mehr anders vorstellen.
Doch während er den Kahlkopf anfangs zwänglerisch in Form hielt (Styling-Parole: konservieren, rasieren, polieren, imponieren), registriere ich seit einiger Zeit eine gewisse Pflege-Anarchie, sein Schädeldach betreffend. Da kann es durchaus vorkommen, dass vor lauter zartem Flaum der Glamour der Glatze futsch ist. Dann drücke ich ihm die Hundebürste in die Hand und sage: „Mach! Zeit für die Nachwuchspflege!“ Worauf er nervös ins Bad läuft, zum Trimmer greift und hektisch für den bewährten Look sorgt.
Lustig ist, dass er dabei immer – keine Übertreibung: immer! – auf ein kleines Stück am Hinterkopf vergisst, etwa ein Quadratzentimeter groß. Dann steht dort ein haariges Mini-Riff – als Mahnmal für das Unperfekte im ach so perfekten Mann, der er ja so gerne sein möchte. Was mache ich? Ich schweige – und genieße genau das. So sehr.
Er
„Keep it simple“ lautete einst die Devise. Statt Tag für Tag vor dem Spiegel der rasanten Entwicklung meiner Geheimratsecken zuzusehen und die Restfrisur in etwas zu verwandeln, das nicht für Passanten-Verstörung auf offener Straße sorgt, habe ich mich spontan für den Kahlschlag entschieden. Allein die Blicke von Frau und Tochter waren es damals wert. Die sahen mich an, als hätte ich mich in meiner Barça-Verehrung für einen blauroten Irokesen-Look entschieden, und glaubten an eine Laune des Wahnsinns. Doch ich blieb konsequent. Und schnittig.
Irgendwann kaufte ich mir einen Kopfrasenmäher und wurde mein eigener Friseur. Weil das aber stellenweise tückisch ist, begegnet mir gnä Kuhn gerne mit Süffisanz: Das Mini-Haarbüscherl links hinten, ist das ein Statement? Darauf fällt mir nix anderes ein als: „Oha!“
Lebenswerk
Wenn die Spöttergattin dann allerdings beginnt, den Glatzenlapsus zum Abend füllenden Thema zu gestalten, gebe ich meine Zurückhaltung auf und verweise stolz auf meinen Brimborium-Minimalismus. Heißt: Für meinen Style benötige ich rund zehn Minuten im eigenen Badezimmer. Während die Haarpracht meiner Frau eine Art Lebenswerk ist. Friseurtermine werden grundsätzlich Monate vorher ausgemacht, daher liegt deren Wahrnehmung dann prioritätenmäßig auch irgendwo zwischen Atmung und Ernährung.
Am Tag X sitzt meine Frau stundenlang in einem Salon, was in mir die Frage aufwirft: Was bitte machen die dort so lange? Strategiegespräche? Nackenmassagen? Kaffeeverkostungen?
Aber ich weiß, die wahren Abenteuer sind am Kopf. Und ihre Schilderungen des Prozederes (samt Preisgestaltung) lösen bei mir augenblicklich dramatische Zappelphilipp-Attacken aus. Umgekehrt gibt es für sie nix Schlimmeres als unterlassene Jubelleistung. Wehe, ich sage nix zum lucky Look! Und sie muss nachfragen: Was ist, fällt dir nix auf? Dann lächle ich und antworte, während ich mir über die Glatze streiche: „Neue Bluse?“
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