Paaradox: Feng hui
Sie
Beinahe hätte ich diesen Text mit „Putzig, Teil 2“ getitelt, als da capo zum vergangenen Sonntag. Offensichtlich wurde die Reinigungskraft gegenüber durch das „Ankärchern“ in geschmeidige „Wisch & Weg“-Laune versetzt, denn einen Tag später bekam ich vom Hufnagl folgende Whatsapp-Nachricht: Pfau, tut mir alles weh! Da hatte ich ein schlechtes Gewissen (es muss sich um endlose Hundertstelsekunden gehandelt haben) – womöglich hat der Hochdruckreiniger allzu viel Druck auf ihn ausgeübt?
Platz für Neues
Viel simpler: Das Putzfieber hat ihn gepackt. Und so beschrieb er mir ächzend die Artenvielfalt seines Lurchuniversums und wie es sich anfühlt, auf allen Vieren robbend, den Spalt zwischen Waschmaschine und Kastl von Mikroorganismen zu befreien. Sieben Stunden habe er nonstop durchgescheuert, erzählte er mir stolz, worauf ich ihn fragte, ob er bescheuert sei. In seinem Alter geht unsereins an Sonntagen spazieren oder löst ein Rätsel, verfällt aber fix nicht in Sauberkeitsfanatismus mit akuten Folgen für den Bewegungsapparat. Da strahlte er fröhlich, und warf ein Zitat von Charlie Chaplin in die Runde: Von einem gewissen Alter ab, tut auch die Freude weh. Tage später blätterte ich in einem Magazin und blieb an einem Artikel zum Thema „Frühjahrsputz“ hängen, in dem etwas über „Feng Shui für die Liebe“ geschrieben stand, Fazit: Wo geputzt wird, kann die Lebensenergie, Qi, fließen. Das schafft Platz für Neues und Gutes. In diesem Sinne fragte ich ihn kürzlich beim Abendessen, wie es seinem Qi (Aussprache: „Tschi“) gerade so gehe. Worauf er mich erst ein wenig leer anstarrte, um dann zu sagen: Hochinteressante Frage, zumal ich seit meinem Putz-Furor am vergangenen Sonntag ständig niesen muss. Kurz darauf donnerte ein lautes „Hatschi!“ durchs Wohnzimmer, danach googelte er eineinhalb Stunden alles zum Thema „Stauballergie“. Während dieser Zeit fiel mir ein, wie die Kolumne diesmal getitelt werden muss.
Er
Zunehmend öfter fällt mir Goethe ein, der schrieb: „Das Menschenleben ist seltsam eingerichtet. Nach den Jahren der Last hat man die Last der Jahre.“ Diese Erkenntnis streift mich mittlerweile verlässlich im Morgengrauen – wenn ich den Prozess des Aufstehens sehr bewusst gestalte, um fatale Bewegungen zu vermeiden. Mitunter ist es trotzdem schwer, altersbedingte Einschränkungen zu akzeptieren. Etwa auf dem Tennisplatz, wenn der Kopf jenen forschen Netzangriff befiehlt, dem der Körper unmöglich folgen kann. Meine Frau kommentiert derlei Schilderungen gerne mit: Tja, du bist eben keine fünfzig mehr. Ein süffisanter Befund, der für einen 52-Jährigen so schmerzvoll ist wie die Umstellung auf einen rückenschonenden Aufschlag. Und als ich kürzlich ankündigte, mich in meiner Wohnung als Putzteufel austoben zu wollen, sagte sie nur: Schön aufpassen, Saubermann, übernimm dich nicht!
Entfesselt
Eine Provokation. Gnä Kuhn kennt meine Affinität zum Grenzgang. In diesem Sinne ignorierte ich erst recht ihren weisen Rat, das Intensivprogramm besser in Etappen zu absolvieren. Sätze wie Glaub’ mir, ich weiß, wovon ich rede sind auch nach vielen gemeinsamen Jahren eher eine Ermunterung, das Gegenteil beweisen zu wollen. Also putzte ich entfesselt, stundenlang, mit berserkerhafter Akribie, und da und dort in einer Haltung, als könnte ich jederzeit noch eine Karriere als Kunstturner beginnen. Ein Aktionismus, der mir am Ende zu tiefer Befriedigung über ein glanzvolles Werk verhalf. Und – eh klar – eine physische Konstitution zur Folge hatte, als hätte ich den ganzen Tag lang versucht, einen Flickflack mit doppelter Schraube zu perfektionieren. Meine Reue wollte ich freilich nicht gestehen. Aber ein Blick auf meinen kaum zu verbergenden gebeugten Gang genügte meiner Frau für ein Uiuiui! Ich sagte: „Sag’ bitte nix!“ Sie sagte: Ich sag’ nix. Und sehr viel besser hätte das eheliche Qi in diesem Augenblick nicht fließen können.
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