Paaradox: Essenszeiten
Sie
Schön langsam zeichnet sich eine seltsam-skurrile Isolations-Stereotypie ab: Der Mann nebenan wird zum Fixstern des Vorhersehbaren. Ich weiß immer genauer, was er wann sagen wird und was als Nächstes kommt. Und täglich grüßt mein Murmeltier. Andere lesen die Zeit am Stand der Sonne ab oder anhand einer blühenden Blumenuhr – ich hingegen lebe seit mehreren Wochen mit der Chronobiologie des Hufnagl’schen Heißhungers, auch HH genannt.
Und das ist dann ungefähr so:
8.30: Stille. Er sagt (noch) nix, sondern schnurchelt (= meine liebevolle Bezeichnung für sein zärtliches Schnarchen). 9 Uhr: „Guten Morgen. Hamma eigentlich noch Kipferln und Butter daheim?“ 11.30: „Weißt du schon, was du am Abend kochen wirst?“ 12 Uhr: „Ist noch was von dem guten Schinken daheim? Spiegelei wäre jetzt irgendwie super.“ 13 Uhr: „Herrlich war das, gibt’s allenfalls Pudding zur Nachspeise?“ 13.05, mit flirrendem Blick: „Oder Germknödel? Mit Vanillesauce?“ 13.20: Und weil es – ohjegerl – weder Pudding noch Knödel und auch keine Sauce vom siebten Küchenhimmel regnet, kommt nun sein Rascheln in der Naschlade. Gefolgt, um etwa 13.21, von jenem ruckartig-fetzigen Geräusch, das entsteht, wenn ein Mann eine Packung Erdnusssnips sieht und sie entschlossen aufreißt. 14 Uhr, vielleicht sogar einen Hauch früher, je nach Snips-Inhalations-Tempo: „So. Fertig. Bitte schreib Erdnusssnips auf die Einkaufsliste.“ 14.20 Uhr: Stille. Schnurcheln. Sein Verdauungs-Power-Nap auf der Wohnzimmercouch. 15 Uhr: „Weißt du endlich, was du am Abend kochen wirst?“ 15.30 bis 16.30 Uhr: „Ich google jetzt Rezept-Ideen.“ 17 Uhr: „So. Habe mich für Reisfleisch entschieden. Machst du oder soll ich?“ Zirka um 17.01 melde ich mich erstmals zu Wort: „Du, mein Schatz!“ Er: „Warum?“ Ich: „Weil du es kannst.“ 18.03: „Wo ist der depperte Paprika?“ Ja, auf diesen Mann ist wirklich Verlass.
gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60
Er
Ja, Homeoffice macht hungrig. Was auch daran liegen könnte, dass zwischen Laptop und Kühlschrank nur ein paar Schritte liegen. Und man auf dem Rückweg quasi an der Naschlade vorbeistolpert. Das Hirn ist ja bekanntlich ein Teufelchen. Das ständig flüstert: Du, Hufnagl, pass’ auf – wenn die Gedanken nicht hüpfen, mach’ einen Hupfer ins Häppchenparadies. Nun ist es aber keineswegs so, dass ich Schinkenbrot und Erdnusslocken, Sportgummi und Schokopudding für mich alleine habe. Gnä Kuhn gehört nämlich zu jener Art Frau, die erst sagt: „Jetzt stopfst du schon wieder etwas in dich rein.“ Und dann beherzt zugreift. Einmal. Zweimal. Dreimal. Um am Ende zu erklären: „Nur kurz kosten.“
Gewissensfragen
Dennoch belächelt sie die Menschen, die seit vielen Wochen via Facebook ihre Gewichtszunahme proklamieren. Diese spitzmädische Gelassenheit liegt aber vor allem daran, dass wir keine Waage besitzen. Worüber ich ehrlich gesagt sehr froh bin, weil ich als Futterant vieles will, nur sicher keinen Dialog mit meinem Gewissen führen. Mir reichen jene mit der Liebsten. Sie: „Sag’, weißt du eigentlich, wie viele Kalorien das Zeug hat?“ Ich: „Nein.“ Sie: „Rate!“ Ich: „Nein.“ Sie: „Na ja, g’sund ist das jedenfalls nicht.“ Ich: „Wurscht.“ Danach schnappt sie sich eine Schnitte aus meiner Schüssel (oder zwei oder drei) und zieht sich ins Arbeitszimmer zurück. Wo sie in aller Ruhe ihre Aufschubrituale pflegt. Was bedeutet: Sie schreibt einen Absatz und macht sich einen Tee. Schreibt einen Absatz und gießt Blumen. Schreibt einen Absatz und putzt das Waschbecken. Und wenn dann endlich Abendessen-Zeit ist, bittet sie mich, den Herd-Nerd zu spielen ... weil sie vor lauter Hack’n „zu nix kommt“. Später vor dem Fernseher formuliert sie ihren Heißhunger übrigens so: „Und, magst du keine Soletti knabbern?“ Heißt: Sie würde gerne kurz kosten. Und ich gestehe, dass ich lustvoll antworte: „Nein, total ung’sund.“
michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9
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