Paaradox: Einen Baum aufstellen

Paaradox: Einen Baum aufstellen
Mehrere Kisten, eine Tanne und ein Diskurs: Wer schmückt diesmal, und was schmückt den Baum am besten? Eine heikle Geschmacksfrage.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Sie

Weihnachtsgeschichten, Teil 2: aufputzt is’! Und es ist seit Jahren gut, dass wir das Schmücken des Christbaums nicht im Duett erledigen, sondern ich als Konsulentin im Hintergrund agiere. Das aber ist von enormer Wichtigkeit. Ginge es nach dem Mann nebenan, würde der Baum möglichst „effizient“ geschmückt werden – er antizipiert beim Aufputzen schon das Abputzen. Demnach würde es reichen, pro Ast maximal ein bis zwei Schmuckstücke aufzuhängen, je nach Astgröße. Und weil der Baum so steht, dass man (auf den ersten Blick) nur dessen Vorderseite sehen kann, wird er entsprechend beladen: vorne viel, hinten nix. Ich mag’s gerne luftig, sagt er, und rechnet heimlich den Kugel-futsch-Koeffizienten für Jänner aus. Zackzack muss das gehen, Ostern naht! 

Komisches Zwergerl?

Nicht mit mir. Ich mag’s üppig, vor allem aber müssen all meine Lieblingsstücke zwingend auf den Baum. Davon habe ich mittlerweile einige: den milde lächelnden Mann im Mond, das güldene Hutschpferd, die rote Kugel mit Discoeffekt. Hach! Ich könnte noch viele solcher Beispiele anführen. Ihm fehlt dafür allerdings die Empathie, mehr noch: Er macht sich über meine Leidenschaft lustig, und murmelt, dass dieses „komische Zwergerl“ oder der „penetrant kitschige Stern“ scharf an seiner Erträglichkeitsgrenze schramme. Von ihm aus würde sich unser Christbaum besser im schlichten Rot-Gold-Kugel-Look machen, ohne den ganzen Schnickschnack. Deshalb hüpfe ich alle zwei bis drei Minuten aus der Küche in sein Schmuck-Atelier, fische ein mir wichtiges Stück aus der Kiste und halte es ihm unter die Nase: Wenn du das nicht sofort aufhängst, bringt das Christkind heute Abend nix zu essen! Das Schöne an dieser kleinen Weihnachtsgeschichte: Am Ende schaut der Baum immer so aus, als hätte ich ihn geschmückt – mit dem feinen Unterschied, dass er die Arbeit hatte und ich das Vergnügen. Ich finde, das ist nicht weise, sondern fast schon genial. 

gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

In Wahrheit bräuchten wir längst einen geräumigen Zweitkeller, der ausschließlich der Lagerung von Christbaumschmuck dient. Ich muss hoffentlich nicht näher ausführen, wer für die fast bizarre Anhäufung von Klimbim verantwortlich ist. Aber wehe ich wage am Tag des Aufputzens den Versuch, das Schachterl mit den über Jahrzehnte gesammelten Glöckchen  nicht ans weihnachtliche Tageslicht zu holen – bist du verrückt, mit dem Engelsglockerl hat schon der Pepi-Opa zur Bescherung geläutet. Und so stehe ich alle Jahre wieder vor einem Baum und vielen Kisten. In denen sich u. a. rekonvaleszente Strohhirten aus den 1960er-Jahren befinden, urigbunte Lametta-Girlanden, die bestenfalls noch zum Dichten von Mauerrissen geeignet wären, oder blau glänzende Tannenzapfen aus Stanniol, die sogar Hund Gustav anbellt.

Zierzauberer

Es stellen sich daher in traditioneller Verlässlichkeit  zwei Fragen: 1. Wie sehr darf sich eine Ehefrau in das meisterliche Werken eines Zierzauberers einmischen (nachdem sie zuvor geächzt hat: Das Schmücken musst bitte du erledigen, ich mach’ sonst eh alles)?  Ich behaupte, Interventionen sollten lediglich zum Zwecke des Frohlockens und Preisens gestattet sein. 2. Wie viel Ästhetik muss ich opfern, um der Sentimentalität der Liebsten gerecht zu werden? Ich behaupte, wenn eine grünschimmernde, gläserne Krippe an einem prominenten Ast platziert werden soll,  nur weil die einst ein Geschenk der Nachbarin aus Ottakring war, muss ich als Architekt des Schönen wortreich einschreiten. Aber dann wird gnä Kuhn leider erst recht aufputzmunter. Und so gehören manche Dialoge zu unserem Weihnachtsritual wie die Stille zur Nacht. Sie: Jö, schau, das musst du aufhängen! Ich: Fix nicht, das ist schiach. Sie: Gar nicht, du bist schiach zu mir. Ich: Geh’ bitte, das schaut doch nicht gut aus. Sie: Sagt wer? Ich: Der Weihnachtsmann. Sie: Der hat dem Christkind gar nix zu sagen. Ich: Also von mir aus. Sie: Na schau’ ... und wo ist jetzt eigentlich die Glaskrippe?

michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9

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