Johannas Fest: Leichenschmaus und Totengedenken

Wenn nicht alle Gäste ein Herz und eine Seele sind, ist größte Sensibilität schon bei der Erstellung der Einladungsliste und nach Eintreffen der Zusagen bei der Tischordnung gefragt.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

In den vergangenen Wochen waren wir zu mehreren Begräbnissen eingeladen, samt anschließendem Leichenschmaus. Dessen Organisation verlangt übrigens kaum weniger Einfallsreichtum und Feinfühligkeit als das Ausrichten einer Hochzeit. Je nachdem, wer auf seinem letzten Weg zu begleiten war, nach dessen Alter, der Anzahl der geladenen Trauergäste und dem Budget der Familie fällt das Ergebnis aus. Wenn nicht alle Gäste ein Herz und eine Seele sind, ist größte Sensibilität schon bei der Erstellung der Einladungsliste und nach Eintreffen der Zusagen bei der Tischordnung gefragt. Hinterlassen die Verstorbenen nicht nur eine(n) Lebensabschnittspartner(in), sondern mehrere, und haben sie mehr als nur eine Familie gegründet, bleiben Animositäten und Spannungen kaum aus. Klar, dass man sich entschließen kann, nur die letzte Verbindung zum Leichenschmaus zu bitten. Das würde alles vereinfachen, ist aber nicht gerecht. Schließlich sollten alle die Gelegenheit erhalten, Abschied zu nehmen, zu denen die verstorbene Person eine tiefe Bindung hatte.

Allerheiligen

Den 1. November, an dem wir alljährlich unserer Toten gedenken, habe ich noch nie gemocht. Meist ist dieser Tag grau und trüb, und der Weg zum Zentralfriedhof, wo schon zu viele meiner zu früh verstorbenen Lieben liegen, wird zur Massenbewegung. Vor ein paar Jahren versuchte mich mein Mann an diesem feuchtkalten Nebeltag nach dem Besuch unseres Familiengrabs aufzuheitern. „Komm, wir gehen schön essen!“, schlug er als Antidepressivum vor. „Das Einzige, worauf ich Lust habe, sind Austern“, erwiderte ich grantig. Die gab es damals nicht in allzu vielen Restaurants und die Hoffnung, dass eines von diesen am Feiertag offen hatte und nach 15 Uhr auch noch mit einer aktiven Küche, war gering. Mein Pessimismus bewahrheitete sich, das stellte sich nach fünf vergeblichen telefonischen Kontaktversuchen heraus. Da fiel meinem Mann das City-Luxushotel einer US-amerikanischen Kette ein. Ja, es hatte Austern und ja, einen Platz gab es auch für uns. Nachdem ich genüsslich zwölf Stück davon verzehrt hatte, war meine Laune schon deutlich besser. Was noch fehlte, war ein süßer Abschluss. Auf der Karte entdeckte ich ein Weinchaudeau. Das gehört zu den Desserts, die ich selbst so gut wie nie zubereite. Also bestellte ich den cremigen Schaum. Der Kellner meinte, er müsse erst in der Küche nachfragen, ob das um die Stunde noch möglich sei. Mit hochgezogenen Schultern und Trauermiene übermittelte er den Bescheid, dass der Klavierspieler schon weg sei. Wie bitte?????? – Wie sollten wir das verstehen? Schlug in diesem Nobel-Etablissement der Pianist Eier, Zucker und Wein zu Schnee? – Nein, er gab bloß den Radetzkymarsch zum Besten, in dessen Takt der Koch den Schneebesen durch die Masse in der Wasserbadschüssel zu schlagen hatte. Diese Episode erheiterte auch den Direktor des Hauses, dem wir sie ein paar Wochen später erzählten. Und wir lachen noch heute darüber. Schließlich wurde dank der so skurrilen Verknüpfung Klavierspieler – Chaudeau – Radetzkymarsch dieser 1. November zu unserem lustigsten Allerheiligenfest.

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