Johannas Fest: Damit das Fest nicht zur Zerreißprobe wird

Kolumnistin Johanna Zugmann über die gar nicht so schlechte Idee, das Festessen vor Weihnachten zu proben.
Johanna Zugmann

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Vorgestern Abend waren wir bei Marlene und Georg zum Weihnachtsessen eingeladen. Neun Tage vor dem großen Fest verwöhnte uns die Mutter von drei Kindern im Teenager-Alter mit einem Menü der Extraklasse. Es gab Parmesanschaumsüppchen mit Trüffeln, Gans mit Bratäpfeln und zum Abschluss erlesenen Schweizer Käse sowie Salzburger Nockerln. – Der Grund für das vorgezogene Festessen? Marlenes Schwiegereltern sind Perfektionisten und sparen weder mit Lob noch mit Kritik. Zu Letzterer wollte ihnen unsere Gastgeberin keinen Anlass bieten. Wir waren mit vier weiteren Freunden sozusagen die Versuchspersonen für das Probeessen. – Es sollte uns nichts Schlimmeres passieren!

Dass das wichtigste Fest im Jahr vollkommen danebengehen kann, erlebte Alice, eine lebenslustige Deutsche, die ich auf einer Kreuzfahrt kennengelernt habe. Im Dezember 2013 war sie gerade einmal fünf Monate mit Otto, den sie über eine Internet-Partnerbörse gefunden hatte, zusammen. Weihnachten, so ihr gemeinsamer Beschluss, sollte mit Alices Familie gefeiert werden.

Ein wahres Desaster

Sie wird diesen Heiligabend nie vergessen. Es lief nämlich so ziemlich alles schief, was nur danebengehen kann. Alices Schwager kam zwei Stunden zu spät, weshalb der Braten im Rohr völlig austrocknete. Der Hund ihres Bruders, ein Labrador, freute sich über das Roastbeef, das auf einem Beistelltisch scheinbar für ihn auf Augenhöhe angerichtet war. Dann gerieten noch Alices Schwester und deren Tochter miteinander in Streit. Türen wurden geknallt und die Großmutter war in Tränen aufgelöst. – Das große Fest geriet zu einem wahren Desaster. Für Otto, in dessen Familie immer alles sehr harmonisch und organisiert abläuft, war dieser Abend – gelinde gesagt – mehr als befremdlich.

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„Wenn das noch einmal passiert, komme ich Weihnachten nie wieder“, drohte Alice. – Das saß! Im Folgejahr präsentierte sich ihr Clan als Bilderbuchfamilie, traute Harmonie, gemeinsamer Gesang, Weihrauchduft, haubenverdächtiges Menü. – Was war passiert? Lachend erzählte mir Alice, dass sich die Familie im Sommer heimlich getroffen habe, um Weihnachten zu üben! So einzigartig das anmutet, so wenig abartig ist es. Schließlich ist Weihnachten mit all den unterschiedlichen Erwartungen der geladenen Verwandten eine der größten familiären Herausforderungen im Jahr.

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