Fabelhafte Welt: „Ihr könnt doch nicht Bambi töten!“

Wie meine Mutter Frieden mit einem Wildtier schloss
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Meine Mutter befand sich in den letzten Wochen im Krieg gegen ein Reh, das nachts in ihren Garten drang und Rosenknospen sowie Gemüse fraß. Sie versuchte, den Feind mit Zäunen fernzuhalten und durch wehende Bänder zu verscheuchen, doch das Reh war fest entschlossen. Also beschloss meine Mutter, den Jäger zu holen.
Mein Dottore Amore war entsetzt: „Ihr könnt doch nicht Bambi töten!“ Woraufhin nun ich entsetzt war, denn für meinen geliebten Gatten, der auf der Mariahilfer Straße aufwuchs, sind Waldbewohner Kinderfilm-Darsteller, für mich hingegen Wildtiere, deren Population aus Mangel an Wölfen durch den Menschen gehegt werden muss.
Das wiederum versteht mein Mann genauso wenig wie den Fakt, dass die rot-umrandeten dreieckigen Straßenschilder mit den Bambis in der Mitte nicht auf einen Streichelzoo verweisen, sondern auf eine Gefahrenquelle: Wildwechsel. Tausende Male erklärte ich meinem Herzkönig der Innenstadt: „Wenn ein Reh vors Auto läuft, keinesfalls ausweichen, sonst landest du im Straßengraben, im Gegenverkehr oder  am Baum!“ Tausende Male antwortete er: „Wieso seid ihr auf dem Land so bös zu den Bambis?“ Ich verzichtete zu erklären, dass Bambi kein Reh, sondern ein Hirsch ist, man einem Hirschen besser ausweichen sollte, in unserer Gegend Hirsche jedoch ohnehin nicht in bebautes Gebiet vordringen – stattdessen beschränkte ich mich darauf, dass man die ALLE nicht streicheln kann. Inzwischen kam es an der Front zu einem Friedensschluss: der Klarapfelbaum im Garten trug mehr Früchte, als die gesamte Großfamilie verbrauchen, verbacken und verarbeiten konnte. So kamen meine Mutter und das Reh zur Übereinkunft, dass das Reh diejenigen Äpfel mampft, die auf die Straße fallen, und dafür den Garten verschont. Letztendlich waren sich meine Mutter und das Reh einig: Gutes Essen darf keinesfalls verschwendet werden.

vea.kaiser@kurier.at

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