Fabelhafte Welt: Auf der Flucht vor den Pollen

Ein wunderbarer Ort ist die Nationalbibliothek, wenn nicht ein seltsamer Geruch in der Luft liegt.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Vea Kaiser über Babybrei in der Bibliothek

Zurzeit befindet sich mein Hauptquartier in der Bibliothek. Diese Strategieänderung erfolgte, um den Zusammenprall mit dem Feind zu vermeiden. Der Lenz lungert im Lande. Dort wo Sie blühende Bäume und grünende Gräser sehen, fürchten wir Heuschnupfengeplagte Geschosse und treten den Rückzug an. Sich drinnen zu verstecken hilft zwar, deprimiert aber auch. Die Bibliothek hingegen spendet Trost: Im Licht der Leselampen versammeln sich Menschen, in deren Leben auch irgendetwas katastrophal schief läuft, denn sonst würden sie in der Sonne sitzen. Oder die Bücher über alles lieben. So oder so: Der homo bibliothecophilus ist mir lieb und teuer. Doch dann lag neulich ein seltsamer Geruch in der Luft. Es roch nach dem Erbrochenen einer Kleinkindergartengruppe und stellte sich heraus als der neuste Ernährungstrend unter Studentinnen: Babybrei. Überall rührten junge Frauen mit mitgebrachten Teelöffeln in Gläschen, und schon drei Mal saß ich einer Studentin gegenüber, deren Ernährung daraus zu bestehen scheint, den Tag hindurch den kleinen Finger in ein Glas Brei zu tunken und während des Lesens abzulutschen. Seither graust mir vor diesem Gatsch, das können Sie sich nicht vorstellen! Sollte ich jemals eigene Kinder haben, müssen die mit Muttermilch leben, bis sie Zähne haben, oder verhungern. Was ist nur mit dem guten alten Jausenbrot passiert? Und vor allem: Warum machen die das? Träumen die im Lernstress davon, wieder Babys zu sein? Haben die Zahnprobleme? Macht das schlank? Preiswert und praktisch fällt als Erklärungsmodell jedenfalls weg, diese Gläschen sind erstaunlich teuer. Ich machte mir schon Sorgen, ich wäre zu alt, um das zu verstehen, und mit den neusten Trends mithalten zu können. Doch dann kostete ich ein Gläschen und stellte fest: Wahrscheinlich ist jeder Mensch mit Zähnen zu alt, um das zu verstehen.

vea.kaiser@kurier.at

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