Erdberg, mon amour

Wer ist der George Clooney unter Wiens Grätzeln?
Barbara Beer

Barbara Beer

Während die Sanguiniker im Redaktionskomitee der Wiener Ansichten zuletzt nicht müde wurden, die Meriten der U6 zu loben (und dabei auf das herrliche Donau-Panorama Leopoldsberg, Kahlenberg, Nussberg vergaßen – Leser H. erinnerte uns dankenswerterweise daran), giftelten die Redaktions-Misantrophen über Wiens U-Bahnen generell. Weil: zu voll, zu laut und überhaupt.

Dabei entkam uns eine gar ungerechte Schmähung eines Grätzels, dem wir uns eigentlich sehr verbunden fühlen, weil wir einst dort wohnten, was wir an anderer Stelle bereits mehrfach erwähnten. (Nein, nicht was Sie jetzt glauben: Floridsdorf kommt diesmal nicht vor.)

Wer will schon nach Erdberg, behaupteten wir gedankenlos, nur, um der U3 eins auszuwischen. Da haben wir nicht mit Frau Christine gerechnet, die uns schrieb, sie lebe ausgesprochen gern in Erdberg. Anfangs der Liebe wegen. Dann entdeckte sie den blühenden Fiakerplatz, den Hainburger Weg, die Ufer des Donaukanals und es war um sie geschehen. Von da an hieß es: Erdberg, mon amour.

Natürlich kann man auch Orte lieben, die nicht auf den ersten Blick sehenswürdig wirken. Erdberg ist vielleicht nicht der George Clooney unter Wiens Grätzeln, doch es hat stellenweise noch berührenden Dorfcharme. Und, wie früher in der Nachbarschaft von Schlachthöfen üblich, urige Wirtshäuser. So, wie wahrscheinlich auch Sie, ich und George Clooney, ist Erdberg im vergangenen Vierteljahrhundert nicht wesentlich attraktiver geworden. Greißler haben zugesperrt, Handyshops, Tattoostudios und andere Etablissements sich breitgemacht.

Doch immer noch gibt’s kaum was Schöneres, als von Erdberger Dächern aus die Krähenformationen zu beobachten, wie sie bei Tagesanbruch aus den Baumkronen im Prater über die Stadt fliegen, in Richtung St. Marxer Friedhof, wo demnächst wieder der Flieder in allen Farben blühen wird, als gäb’s kein Morgen. Und abends dem bezaubernden Getrappel der müden Fiakerpferde zu lauschen, die den Heimweg nach Simmering antreten.

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