Die Kunst des Zweifelns

Eine Meinung ist heute ein Statussymbol, mit dessen Hilfe man sich anderen moralisch überlegen fühlen darf.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Vom wunderbaren Denker Peter Ustinov, der diese Woche leider nicht 100 Jahre alt wurde, ist folgender Satz überliefert: „Unsere Zeit braucht weniger Überzeugungen und mehr Zweifel. Überzeugungen trennen die Menschen. Aber Zweifel haben wir alle.“

Was würde Ustinov sagen, würde er heute noch leben und die sozialen Medien kennen? Vermutlich wäre er verblüfft: Die Kunst des Zweifelns ist in Vergessenheit geraten. Das respektvolle, wissbegierige Misstrauen gegenüber allem, vor allem gegenüber der eigenen "Überzeugung", gilt jetzt als Zumutung.

In Twitterhausen und Facebookistan tummeln sich heute die Wahrheitsbesitzer, die sich von den Steinen ernähren, welche sie auf andere werfen. Eine Meinung ist oft nicht mehr das Ergebnis von längeren Nachdenkprozessen und der Ausgangspunkt für Neugier auf andere Meinungen zwecks Fortsetzung dieser Prozesse, sondern ein Statussymbol, mit dessen Hilfe man sich anderen moralisch überlegen fühlen darf.

Politik war Ustinov suspekt: „Weil ich die Anstrengung nicht leiden kann, immer recht haben zu müssen.“

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