„Denkmäler brauch ma jetzt!“

Nach oben schauen kann in Wien gefährlich sein. Aber manchmal gibt es gute Gründe dafür.
Barbara Beer

Barbara Beer

Nehmen wir an, Sie gehen seit Jahrzehnten an einem Kunstwerk vorbei und sehen es nicht. Weil es zum Beispiel an einer Hausmauer eng an der Straße pickt und man als gelernter Wiener ja möglichst nicht nach oben schaut, früher wegen der Hundehinterlassenschaften, heute wegen der vielen fragwürdigen Dachausbauten. Nehmen wir weiters an, Sie stoßen durch Zufall auf die Urheberin dieses Kunstwerks und kommen drauf, dass Sie die letzten Jahrzehnte wie ein blindes Hendl nichts ahnend an ziemlich guter Kunst vorbeigegangen sind. Wenn diese Annahmen zutreffen, könnte es gut sein, dass Sie es mit Kunst im öffentlichen Raum zu tun haben.

Zum Beispiel mit einem Mosaik der Bildhauerin Maria Biljan-Bilger, das sich seit 1964 an einer Wand des EKZ an der Hietzinger Hauptstraße 22 befindet. Riesengroß, doch es ist mir nie aufgefallen. Erst ein Besuch in der Ausstellungshalle, die der Architekt Friedrich Kurrent seiner Frau Maria Biljan-Bilger im niederösterreichischen Ort Sommerein gebaut hat, hat mich auf die Künstlerin aufmerksam gemacht. Ich bin nicht allein mit meinem Nichtwissen. Die 1997 verstorbene Bildhauerin kennen nur mehr wenige. Dabei war sie einst gut mit öffentlichen Aufträgen beschäftigt. Kurrent berichtet in einem Buch über seine Frau, wie sie sich nach dem Krieg im Rathaus um einen Auftrag bewarb: Zum Vorstellungsgespräch beim ersten Wiener Kulturstadtrat, Viktor Matejka, nahm sie einen bemalten Sandstein-Igel mit. Matejka war verblüfft: „Aber Kinderl, an Igel bringts, an Igel – Denkmäler brauch ma jetzt, Denkmäler!“ Und sie lieferte Denkmäler. Außerdem Mosaike, Brunnen, Wandskulpturen (z. B. Veitingergasse 131). Nicht immer zeigte die Stadt in Folge so viel Verantwortung ihrem Kulturauftrag gegenüber. Manches, was die Bildhauerin künftig im öffentlichen Raum schaffen sollte, ging verloren.

Trotzdem (und entgegen der eingangs erwähnten Warnung): Es lohnt sich, in Wien hin und wieder nach oben zu schauen. Und wenn Sie Zeit haben, fahren Sie nach Sommerein.

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