Das Leben zsammräumen

"ÜberLeben": Ohne Twitter und Facebook - ein gutes Gefühl.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Das Leben zsammräumen. Falsches und Unnötiges wegschmeißen. Gutes entstauben. Fast vergessene Dinge finden und sich wundern: Wieso habe ich das in den Keller meines Lebens geräumt, das ist doch toll? Wieder der werden, der man eigentlich ist, und sich noch einmal wundern: Wieso war ich das so lange nicht?

Anlässlich eines Geburtstags hatte ich mir Veränderungen vorgenommen. Aber inzwischen glaube ich fast: Die Veränderungen haben sich mich vorgenommen.

Jetzt ist es der erste Sommer seit vielen Jahren ohne sie. Aber es fühlt sich gut an. Sie gehen mir nicht ab, Twitter und Facebook.

Auf Facebook regiert  die Verführung zur Irrationalität und zur Banalität. Auf Twitter die zum Rechthaben und zum Schnellgerichtshof. Auf Facebook werden Mahlzeiten fotografiert und Kalenderblattsprüche gepostet – oder Verschwörungen konstruiert. Auf Twitter werden Wettbewerbe in politischer Korrektheit abgehalten – oder andere als Idioten und/oder Nazis denunziert.

Mein hoch geschätzter Kollege L. sagt: Die sozialen Medien sind der Ort, wo wir lernen, einander zu hassen. Ich füge hinzu: Wo wir lernen UNS zu hassen. Noch weniger als die sozialen Medien mochte ich das, was sie aus mir machten: einen grantigen Menschen.  Während ich mir einbildete, die Mechanik der sozialen Medien zu verstehen – und mich oft darüber lustig machte, wie sich dort alle im Dauerbeleidigtsein suhlten – bemerkte ich gar nicht, dass es mir genauso ging. Ich schaute auf Facebook und Twitter,  postete etwas Provokantes, bekam dafür Hohn, Spott und ein paar Watschen, rief „Alles Trotteln“ und war für die nächsten zwei Stunden grantig. Ich glaube ja, dass es Menschen gibt, die genau das genießen. Ich bin kein solcher Mensch.

Lange schaffte ich es dennoch nicht, aus diesem System auszusteigen. Jetzt, im Zuge der Lebenszsammräumung, fiel es mir ganz, ganz leicht. Und Facebook und Twitter fehlen mir nicht im Geringsten.

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