Chaos de Luxe: Weihnachten so wenig wurscht wie seit langem nicht

Post-menopausaler Peinlichkeitspathos oder einfach nur dankbar nach einem Vollversager-Jahr?
Polly Adler

Polly Adler

Wissen Sie, eigentlich bin ich Schriftsteller“, erklärte mir der serbische Taxifahrer mit schwerem Stolz in der Stimme. Auf meine Frage nach dem Thema seines Romans antwortete er wie aus der Pistole geschossen: „Blondinen, Liebeskummer, Messerstechereien, das Übliche.“ – „Danke, Sie haben mir in einem Satz mein Leben 2020 erklärt!“ – „Waren Sie in Messersachen verwickelt?“ – „Mehrfach. Aber metaphorisch.“ – „Ach, so ...“ Jetzt wirkte er fast schmerzlich enttäuscht, dass mein Drama von überschaubarer Drastik war. Plötzlich explodierte ein Geysir von Tränen unter seiner Maske: „Ich will nach Hause. Zu meiner Mama.“

Ich am Trostpedal: „Im Frühling wird alles besser. Auch das Reisen. Wir werden wieder leben.“ – „Die Mama nicht, sie ist tot. Ihr ist wurscht Frühling.“ Nach einer Pause begannen wir beide loszuprusten, denn seine Antwort zeigte wieder einmal, dass Humor in der Lage ist, die größten Schmerzen zu wattieren. Ich dachte an meine Freundin D, die das Spitalsambiente so unter ihrer Würde gefunden hatte, dass sie vergangenes Weihnachten ausgebüxt war, um mit ihrer Tochter zu feiern. Es sollte ihr letztes Fest werden. Wie froh bin ich heute, dass sie so unvernünftig war.

Ich denke an meinen Großvater, der 1943 meiner Tante das Bibliotheksexemplar von „Max & Moritz“ abfotografierte, entwickelte und liebevoll band, „weil es keine Bücher zu kaufen gibt“, wie er entschuldigend schrieb. Und an meine wunderbare Oma, die zu ihrem letzten Weihnachten keine Kekse mehr buk, sondern kaufte. Damals wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern würde. Ich sollte recht behalten. Und dann freute ich mich wie närrisch auf den Fortpflanz, der nach Monaten Absenz im selben Moment bei uns den Baum schmückte. So wenig wurscht wie heuer war mir Weihnachten seit meiner Kindheit nicht. Post-menopausaler Peinlichkeitspathos oder einfach nur dankbar nach einem Vollversager-Jahr?

Ein bisserl was von allem. Frohes Fest!

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polly.adler@kurier.at

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