Alles ist politisch, auch das Kaffeehaus
Gespaltene Gesellschaft. Die oft konstatierte Spaltung der Gesellschaft ist im Café Kralicek ein reines Sommerphänomen wie Freiluftkinos, Sonnenbrand oder U-Bahn-Sperren. Während im Café unterm Jahr alle gleich sind, tut sich im Sommer die große Kluft zwischen drinnen und draußen auf.
Viele Stammgäste finden, dass bei den Temperaturen eigentlich niemand einen Kaffee braucht und Hochsommer und Kaffeehaus einander grundsätzlich ausschließen. Sie hocken deshalb draußen im Schanigarten, bei einem kühlen Bier oder einem prickelnden Spritz. Mit der typischen Kaffeehausstimmung hat das wenig zu tun, aber das macht ihnen nichts. Nie ist Wien so pariserisch wie in diesen Tagen, und solange die Preise deshalb nicht auf Pariser Niveau steigen, ist dagegen auch gar nichts zu sagen. Im Gegenteil: Wir sollten es genießen.
Andere ziehen es trotzdem vor, reinzugehen. Einerseits, weil sie mit der Hitze einfach nicht warm werden wollen. Und andererseits, weil sie es schätzen, dass ihr Stammplatz jetzt immer frei ist und sie endlich eine Ruhe haben. Wir sollten das respektieren.
Große Koalition. Alles ist politisch, auch das Kaffeehaus. Nie wird das so deutlich wie im Sommer. Draußen sitzen die Bobos (Ampel aus Rot, Grün, Neos), drinnen die Konsis (ÖVP schwarz). Die Türkisen sind ohnedies nie ins Kaffeehaus gegangen, man trifft sie nur beim Businessbrunchen in schicken Lounges oder am frühen Abend in coolen After-Office-Bars. Und die FPÖler sitzen entweder im Bierzelt oder im autochthonen Beisl ums Eck.
Eines muss man aber auch sagen: Wenn Spaltung der Gesellschaft überall so aussähe wie im Café, wär’s schön. Über ideologische Gräben hinweg reicht man einander höflich die Tageszeitung oder den Zuckerstreuer, und tagespolitische Themen werden ohne Schaum vor dem Mund besprochen. Bei uns im Kaffeehaus regiert immer schon die ganz große Koalition.
Kommentare