Ein Schnittlauchbrot ist im Grunde auch nur ein Butterbrot

Vieles, was wir schätzen, fußt auf etwas anderem, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Narrenfreiheit. Stammgäste genießen im Café Kralicek Narrenfreiheit. Jedenfalls dürfen sie sich deutlich mehr herausnehmen als die Laufkundschaft. Manche dürfen ihren eigenen Schnaps mitbringen, weil sie den Chef davon überzeugt haben, dass sie diesen zur Verdauung benötigen, also quasi medizinischen Bedarf haben. Andere haben die ausdrückliche Genehmigung, bestimmte Zeitschriften mit nach Hause zu nehmen; man kann sich nämlich darauf verlassen, dass sie sie am nächsten Tag in der Früh zurückbringen.

Stammgast Karl (Name von der Redaktion geändert) hat bei den Kellnern des Café Kralicek nach vielen Versuchen und mit bewundernswerter Penetranz durchgesetzt, dass nur die Hälfte seines Schnittlauchbrots mit Schnittlauch bestreut wird, weil er „nur so auch das Butterbrot wertschätzen kann, das sich unter dem Schnittlauchbrot verbirgt“.

Das nackte Schnitzel. Das ist einerseits natürlich eine typische Schrulle, wie man sie nur einem Stammgast durchgehen lässt. Andererseits aber versteht man irgendwie schon auch, was der Karl meint. Vieles, was wir schätzen, fußt auf etwas anderem, ohne dass wir uns dessen immer bewusst sind. Der weiße Spritzer zum Beispiel ist im Grunde auch nichts Anderes als ein Achtel Weiß, das halt mit Soda vermischt wird. Weshalb der Karl – und da ist er nicht der Einzige – sich den Wein und den Sprudel selbstverständlich separat servieren lässt.

Ein solcher Purismus stößt irgendwann an seine Grenzen. Käme etwa das Schnitzel roh und mit Mehl, Ei und Bröseln als Beilagen an den Tisch, fände das wohl auch Karl nicht mehr lustig.

Grundsätzlich aber gilt: Kinder und Stammgäste sprechen die Wahrheit. Man sollte sich nicht täuschen lassen. Unterm Pflaster liegt der Strand, unterm Schnittlauch ist die Butter. Die Welt ist voll mit Nackten, nur dass die meisten von ihnen halt was anhaben.

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