Bohnengulaschüberdosis

Es ist Advent. (Außer, dem Jahr 2020 fällt noch etwas ein.)
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Morgen ist, falls sich dieses Jahr nicht noch etwas anderes einfallen lässt (Sintflut? Landung der Außerirdischen? Rückkehr der Dinosaurier?) der erste Advent. An diesem Tag wird, wie wir als Kinder sagten, zum ersten Mal der Adventkranz angezündet (zum Glück nicht, nur die erste Kerze).

Als ich ein Kind war, waren Adventkränze noch grün, rund und rochen nach Tanne. Heute sind Adventkränze Statussymbole, wer etwas auf sich hält, bestellt beim örtlichen Adventkranzdesigner und gibt den Gegenwert eines Gebrauchtwagens aus für ein Objekt, das an ein klingonisches Raumschiff nach einem verlorenen Gefecht erinnert, oder an etwas, das englische Adeligengattinnen beim Pferderennen tragen, oder auch an Gebilde, die dekonstruktivistischen Stararchitekten nach schweren Träumen aufgrund einer Bohnengulaschüberdosis einfallen.

Die Kerzen auf diesen Objekten sehen aus wie Hinkelsteine und werden nicht entzündet, sondern von einem eigens zu diesem Zweck angestellten taubstummen Shaolinmönch mittels Geisteskraft in Brand gedacht oder wahlweise von einem nur Rätoromanisch sprechenden 102-jährigen Senner mithilfe von   Feuerstein, Geißenbemmerln und aggressivem Schweizer Jahrgangskäse zur Explosion gebracht.

Am Dienstag dürfen wir dann die erste Türe am Adventkalender öffnen. Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, als hinter diesen Türen – wir haben ja nichts gehabt! – tatsächlich nur kleine Bilder steckten und nicht getrüffelte Wurstware, Sexspielzeug aus Chili-Schokolade oder aus Bananenbrotteig selbst gestrickte Rheumasocken.

Ich weiß noch, dass ich als Kind diese Bilder – meistens sah man Engel oder Esel oder Zwerge im Winterwald – stundenlang anschauen konnte und mir dazu Geschichten ausdachte. Ich hatte eine rege Fantasie, damals, in den frühen Siebziger-Jahren, die Erwachsenen lachten oft über meine Ideen. Aber so etwas wie das Jahr 2020 wäre mir nie eingefallen.

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