Barbara Kaufmann: Zuckerln oder Winkerlstehen

Wer kritische Publizisten bestrafen will, der will auch keine kritische Öffentlichkeit.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Es ist immer unheimlich, wenn man wie ein Kind behandelt wird. Nicht wie ein Kind der Gegenwart, das ernst genommen wird und respektiert, das aufwächst in einer Gesellschaft, die Schläge längst verboten hat, die sie verabscheut und verachtet. Sondern wie ein Kind in den Fünfzigern und frühen Sechzigerjahren. Als die Pädagogik in vielen Teilen des Landes noch dunkelschwarz war – und dunkelbraun. Als noch die Rute im Klassenzimmer regierte. Als Lehrer noch Alleinherrscher waren, die nicht nur Noten verteilten, sondern auch Schläge. Die in ihren Klassenzimmern nicht nur Leistung, sondern vor allem auch Verhalten belohnten oder bestraften. So lange, bis der aufsässige Schüler, der aus der Reihe tanzte, lernte, sich zu benehmen. Keine Ideen zu äußern, die das Bestehende verändern sollten.

Keine Gedanken laut zu denken, die an dem Lehrstoff zweifelten.

Keine Fragen zu stellen, die man damals nicht stellte.

Zuckerln für die Braven, Hiebe für die Unfolgsamen. Und dann ab in die Ecke zum Winkerlstehen, mit dem Kopf zur Wand, damit man nur ja keinen Blickkontakt zu den anderen halten konnte. Oft mehrere Schulstunden lang.

So wurde mit den Widerspenstigen und Widerständigen verfahren. So wurden Exempel statuiert. So wurde den anderen gezeigt, was mit ihnen geschieht, wenn sie es wagen, anders zu sein, als erlaubt. Weil Individualismus als gefährlich galt.

An diese Atmosphäre aus dunklen Zeiten, an dieses Kind sein in Angst und Schrecken, an dieses autoritäre System aus der Vergangenheit fühlt man sich erinnert, wenn man plötzlich gemaßregelt wird, gerügt und mit Strafe bedroht. Mit Informationsentzug und Ausschluss, weil man zu kritisch war. Weil Fragen nicht genehm waren, weil das Verhalten nicht entsprochen hat.

Als wäre es plötzlich wieder damals, als hätte man etwas „angestellt“, als wären das Kategorien, in denen aufgeklärte Erwachsene denken. Und man staunt nicht schlecht, wie da eingeteilt wird in Schwarz und Weiß, in gut und böse, in brav und unartig. Man wundert sich nicht wenig, wie Sanktionen erdacht werden, wie da fantasiert wird vom strengen Umgang mit kritischen Kommentatoren, wie da geglaubt wird, man könnte ganz nach Gutdünken handeln, bevorzugen, bestrafen, ohne Rechtfertigung. Man ist schockiert, wie da gedacht wird, man müsste Kontrolleure erziehen, Kontrollen steuern, am besten gleich abschaffen, Freiheiten aushöhlen, Strafen erfinden. Weil jemand nicht brav war. Und nicht gehorcht.  

Wer so über kritische Publizisten denkt, der will auch keine kritische Öffentlichkeit. Keine mündigen Bürger, die ihre Rechte kennen, die sich informieren, die aufstehen, wenn ihnen etwas nicht passt. Keine selbstbewussten Wähler, die Ideen fordern und Konzepte, die Visionen wollen für ihre Stimme, die anspruchsvoll sind und Ansprüche haben an die Politik. Keine Bürgerinitiativen, die mitbestimmen wollen, mehr Selbstverwaltung, mehr Eigenverantwortung und Widerstand leisten gegen den Status Quo.

Der will Kinder, die sich fürchten, die man maßregeln kann, ins Winkerl stellen und bestrafen, wenn sie nicht folgsam sind.

Die brav sind und still, die sich ruhig stellen lassen durch Zuckerln und Geschenke.

barbara.kaufmann@kurier.at

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