Barbara Kaufmann: Was ich noch sagen wollte

Bei Abschieden ringt man oft um Worte. Eine letzte Kolumne über das Auseinandergehen.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Die schönste Erinnerung eines Lebens ist immer eine neue Begegnung, die traurigste immer ein Abschied. Wenn man sich mit dem Gedanken vertraut machen muss, etwas aufzugeben, die Zeit mit jemandem hinter sich zu lassen, ihn nicht mehr wieder zu sehen. Im Moment des Abschieds verdichtet sich noch einmal die gemeinsame Geschichte zu einem einzigen Augenblick. Bruchstücke aus der Erinnerung fügen sich zusammen, Vergangenes wird zur Gegenwart. Im Moment des Abschieds ist die Liebe meist am größten. Abschiede können sentimental machen, melancholisch und milde. Wenn man sich trennt, ist plötzlich alles gut. Im Moment des Abschieds ist alles vergeben.

Manche Abschiede kränken, weil sie unfreiwillig sind. Die Kränkung wirkt nach, man schleppt sie mit sich herum, obwohl man es leichter haben könnte. Wo man von einem nichts will, soll man nichts wollen.

Manche Abschiede sind schnell und grob. Wie das Pflaster, das man mit einem Ruck von der Wunde reißt. Man kann trotzdem immer versuchen, sich so zu verhalten, wie man es sich vom anderen wünschen würde.

Manche Abschiede sind schleichend, aber folgenschwer. Der Abschied von der Streitkultur, vom respektvollen Miteinander, von einem Umgang mit dem anderen, der ihm, selbst wenn er irrt, noch seine Würde lässt. Der ihn nicht zum Feind macht, sondern zum Andersdenkenen, der immer Mensch bleibt.

Manche Abschiede sind unbedacht. Der Abschied von der offenen Gesellschaft, weil die Angst größer ist, als die Zuversicht, das Selbstbewusstsein und die Gewissheit, es gemeinsam hinzukriegen.

Manche Abschiede sind übermütig. Der Abschied von der Möglichkeit des aktiven demokratischen Mitgestaltens, von dem aktuell autoritäre Staatsmänner in Europa profitieren. Das alte System ist langweilig und mühsam geworden, es muss etwas Neues her! Was dadurch unwiederbringlich verloren wird, fragen noch zu wenige. Etwas zu zerstören geht schnell. Es wieder aufzubauen, kann dauern, manchmal länger als ein Menschenleben.

Manche Abschiede sind gefährlich. Der Abschied von Fakten, der ganz bewusst zugunsten der eigenen Agenda in Kauf genommen wird. Gerüchte werden als Wahrheiten verkauft mit dem Ziel, zu spalten, Zwietracht zu säen, Menschen auseinander zu bringen. Gegen sie müssen wir uns wehren und aufeinander zugehen. Wenn wir nicht mehr miteinander sprechen, tun es andere für uns und lassen uns verstummen.

Abschiede erzeugen Druck. Was sagt man zum anderen, wenn man weiß, dass man vielleicht zum letzten Mal miteinander spricht?

Was können wir überhaupt zum Abschied sagen, was nicht schon tausendmal gesagt wurde? Was können wir mitgeben, was hinterlassen? Und können wir auch nur ahnen, welche Erinnerungen einst mit uns verbunden bleiben werden?

Fragen, die mir in den Sinn kommen, während ich meine letzte Kolumne für den KURIER schreibe. Ich habe viele Abschiede erlebt in den vergangenen Jahren. Manche waren absehbar, manche überraschend, manche vernünftig, ein paar waren hitzig und einige waren für immer. Das waren die schwersten von allen. Vielleicht sind Abschiede manchmal unvermeidbar. Weil niemals etwas Neues beginnen kann, wenn man nicht bereit ist, das Alte hinter sich zu lassen.

barbara.kaufmann@kurier.at

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