Barbara Kaufmann: Hören Sie auf, unglücklich zu sein!

Depressive können sich nicht aussuchen, ob die Schwermut wiederkommt, die Leere, die Erschöpfung.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Es ist Herbst, an manchen Tagen brennt er in den Augen. Dann, wenn der Hochnebel über der Stadt hängt und die Straßen in feinen, weißen Dunst hüllt.

Wenn das Licht hellgrau ist und vom Dunkelgrau der Häuser reflektiert wird und die Sonne nur eine Erinnerung, dann wird es schwerer für manche. Die Augen sind morgens verklebt, als hätte man geweint, aber man fühlt sich gar nicht traurig. Man fühlt nichts. Nur Müdigkeit, groß und bleiern. Die Lider sind schwer. Sie bleiben so, bis es dunkel wird und man sie schließen kann. Ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Man kämpft ohnehin ständig mit Schuldgefühlen. Weil alles so langsam geht, weil man nicht in die Gänge kommt, weil sich jeder Schritt anfühlt, als stünde man im Gegenwind und müsste sich mühsam vorwärts kämpfen. Bist du krank? fragen die Kollegen und man nickt dankbar für die Ausrede. Vielleicht ein Virus, sagt man, weil man weiß, das geht durch. Da stellt niemand unangenehme Fragen, da gibt es keine misstrauischen Blicke, da wird man nicht kritisch beäugt.

Da kommen keine Ferndiagnosen, die weder gut noch gut gemeint sind. Sondern nur den Eindruck verstärken, dass irgendetwas nicht stimmt mit einem.

Ein Virus ist unproblematisch. Ein Virus lässt keine Fragen offen. Ein Virus kann schließlich jeden treffen. Das kann die Depression auch. Aber wer will das schon wahrhaben?

Es ist Herbst, an manchen Tagen sticht er im Kopf. Ein dumpfer Schmerz pocht in den Schläfen und er geht auch nicht weg, wenn man läuft, wenn man Yoga macht, wenn man sich milch- und weizenfrei ernährt. In der Fußgängerzone leuchten die Titel der Lebensratgeber vor den Buchhandlungen grell aus den Wühlboxen. Hören Sie auf, unglücklich zu sein! Denken Sie positiv! Wählen Sie das Glück! 10 Wege aus der Krise! Was nicht drin steht, ist, dass man sie alle allein geht. Dass man keine Wahl hat. Dass man sich nicht aussuchen kann, ob der Schwermut wiederkommt, die Leere, die Erschöpfung. Dass man die Ungeduld des Gegenübers spüren, die stummen Vorwürfe hören kann, weil man sie sich oft genug selbst macht, wenn nichts mehr geht. Hör auf, zu jammern! Reiß dich doch zusammen!

Dass es keine Übungen gibt gegen die Angst, dass alles wiederkommt. Keine Frischlufttherapie, keine ätherischen Öle. Dass man auf sich selbst zurückgeworfen ist. Und wie viel Kraft es braucht, damit zurechtzukommen. Wie viel Mut, um das auszuhalten, weiterzumachen, nur an den nächsten Tag zu denken, sich Hilfe zu suchen, sich nicht aufzugeben. Daran zu glauben, dass es besser wird. Dass alles gut wird. Weil es gut werden muss.

Es ist Herbst, an manchen Tagen kribbelt er in der Nase. Man steht auf der Straße, steht still und kann das Parfüm der Menschen riechen, die an einem vorbei laufen, den Schweiß, den Atem, den sie ausstoßen und der bei manchen verrät, dass sie sich Mut angetrunken haben, um weitergehen zu können.

Alles läuft in Zeitlupe. Man atmet ein, man atmet aus. Und manchmal riecht es nach Blättern, nach Regen und nach Maroni. „Jeder, den du triffst“, sagte Heath Ledger, „fragt dich, ob du Karriere machst, verheiratet bist oder ein Haus hast. Aber niemand fragt dich jemals, ob du glücklich bist.“

barbara.kaufmann@kurier.at

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