Aida Loos ist freudlos: Ich vermisse meine Heimat

Auf der Couch mit der (fiktiven) Ururenkelin von Sigmund Freud: Eine Kabarettistin lädt zur satirischen Therapiestunde. Heute geht es um den Iran.
Aida Loos

Aida Loos

Verstehe, Sie vermissen also den Iran. Sie Arme, das ist ja wie ein chronischer Zahnschmerz, nur emotionaler und ohne Aussicht auf eine Füllung. Erzählen Sie mir, fehlt Ihnen denn das dezente Gefühl der permanenten Kleidungsberatung durch bewaffnete Sittenwächter so sehr? Oder vermissen Sie eher den Nervenkitzel eines Raketenangriffs? Ich muss schon sagen, Ihr Timing für Nostalgie ist bemerkenswert. Als würde sich ein Truthahn im November nach Thanksgiving sehnen.

Keiner versteht Sie hier? Natürlich nicht. Wie auch? Zwischen „I wü wieder ham“ nach drei Krügerln und „Meine Familie lebt in einem Kriegsgebiet“ liegen auch 17 Galaxien des Selbstmitleids und keine Flugverbindung zur Vernunft.

Rebellion gegen die Realität

Wissen Sie, Ihr Heimweh ist eigentlich ein Akt der Rebellion gegen die Realität – Sie weigern sich zu akzeptieren, dass ein Land, das so reich an Kultur und Geschichte ist, gleichzeitig so arm an Freiheit sein kann. Das alte Persien war die Wiege der Zivilisation und hat Poesie über die Liebe zu einem Zeitpunkt geschrieben, wo in Europa Frauen verbrannt wurden, weil man dachte, sie wären Hexen. Mittlerweile aber werden die Frauen im Iran für zu lockere Kopftücher und Männer für zu enge Hosen hingerichtet. Es ist die einzige Modewelt, in der „todschick“ keine Metapher ist.

Fernweh nach Vergangenheit

Vielleicht ist Ihr Heimweh aber gar nicht so absurd. Vielleicht ist es sogar die einzig adäquate Reaktion auf eine Welt, in der politische Machtspiele immer wieder dieselben Opfer fordern: Normale Menschen, deren einziges Verbrechen es ist, am falschen Ort geboren zu sein. Ihr Heimweh ist eigentlich Fernweh nach der Vergangenheit. Ein Fuß in der Realität, ein Fuß in der Nostalgie und das Gehirn irgendwo dazwischen, beschäftigt damit, aus diesem Chaos noch etwas Sinnvolles zu konstruieren. In diesem Sinne ist Ihr Heimweh gar kein privates Gefühl, sondern ein politisches Statement.

Sie können erst frei sein, wenn es die Menschen im Iran auch sind? Teuerste, das ist wie zu sagen: „Ich kann nicht schlafen, solange irgendwo ein Baby weint.“ Fein, dann werden Sie halt nie schlafen. Sie leiden präventiv für Menschen, die nicht einmal wissen, dass Sie existieren.

Sie sind wie ein Samariter, der sich selbst überfährt. Die Menschen im Iran brauchen nicht Ihre stellvertretende Gefangenschaft. Sie brauchen Hilfe, aber die bekommen sie sicher nicht dadurch, dass Sie sich selbst zur emotionalen Märtyrerin machen.

Was ich Ihnen rate gegen Ihre geopolitisch unangemessene Sehnsucht? Gehen Sie auf den Stephansplatz und rufen Sie: „Nieder mit der Regierung!“. Schauen Sie was passiert. Sie werden sehen: nichts. Niemand wird Ihnen die Zunge amputieren und das, mein verwirrter Schmetterling, das ist Demokratie. Langweilig, nicht wahr?

Sie könnten sich auch ein Poster von Khomeini ins Esszimmer hängen. Nichts macht das Schnitzel und den Sekt schmackhafter als der strafende Blick eines toten Revolutionsführers.

Abzocke verbindet

Und wenn Sie unbedingt ein autoritäres System erleben wollen, besuchen Sie einfach ein Wiener Kaffeehaus und bestellen Sie nur ein Glas Wasser. Der Kellner wird Sie mit einem Blick strafen, der selbst einen iranischen Sittenwächter zum Weinen brächte. Kaufen Sie sich regelmäßig auf dem Naschmarkt überteuerte Pistazien. Das Gefühl, abgezockt zu werden, ist international und verbindet alle Kulturen. Aja, und wenn Sie persische Poesie brauchen, lesen Sie den Beipackzettel von Medikamenten. Die sind auch voller blumiger Umschreibungen für „Könnte sein, dass man davon stirbt.“

Wenn Sie außerdem das Gefühl permanenter Kontrolle vermissen, ziehen Sie in einen Gemeindebau. Mit etwas Glück haben Sie einen Nachbarn, der ein Überwachungssystem betreibt, das selbst den iranischen Geheimdienst vor Neid erblassen ließe.

Sie wollen nicht umziehen? Gut, dann bleiben Sie halt hier. Andere Länder haben auch schöne Ecken, oder wie die alten Perser schon sagten: Überall auf der Welt ist der Himmel blau.

So, das macht dann 250 Euro bitte. Heimweh ist teurer geworden, wie alles, was man nicht wirklich braucht.

Die Autorin: Aida Loos tourt ab Herbst wieder mit ihrem Soloprogramm „Zeitloos“ durch Österreich (z. B. 16. 10., Kulisse Wien).

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