Aida Loos ist freudloos: Ich habe einen Putzzwang
Einen Putzzwang haben Sie? Wie spektakulär unspektakulär! Also nicht für mich persönlich, aber für eine Gesellschaft, die Frauen von klein auf beibringt, ihre eigene Unterdrückung so lange zu polieren, bis sie glänzt. Ein Mann mit Putzzwang? Ein bemitleidenswerter Sonderling. Eine Frau mit Putzzwang? Gut erzogen! Als hätte die Evolution Frauen mit einem Staubsauger statt einer Wirbelsäule ausgestattet. Mein Ururgroßvater hätte Sie nicht therapiert, sondern angestellt.
Aber Sie putzen gerne? Das heißt also, Sie verbringen Ihre kostbare Lebenszeit im Kampf gegen ein Heer aus eigenen Hautzellen, Fasern Ihrer Kleidung und Partikeln der Außenwelt? Kaum ist die letzte Oberfläche poliert, tanzt bereits das nächste Staubkorn majestätisch in der Nachmittagssonne. Dazwischen haben Sie vielleicht 3 Minuten Ruhe, die Sie aber nicht genießen können, weil Sie nicht wissen, wohin mit sich selbst. Es ist, wie wenn einem Jäger die Hasen ausgehen. Ein Dilemma.
Das Traurige am Putzzwang ist, dass er wenig mit Hygiene zu tun hat und viel mehr mit Kontrolle. Die Welt da draußen ist ein Sauhaufen, der sich einen Dreck um Ihre Ordnung schert. Die Politik, die Wirtschaft, die Liebe. Alles chaotisch und unberechenbar. Das Universum eine einzige Schweinerei. Geburt? Blutig. Tod? Unappetitlich. Dazwischen? Verdauung. Aber Ihre Wohnung können Sie kontrollieren. Bis zur letzten Staubflocke. Da stehen Sie also mit Ihrem Wettex und wollen der Welt einen Strich durch die Rechnung machen. Heldenhaft, aber auch sinnlos. Als würde man mit seiner Alkoholfahne gegen einen Waldbrand blasen. Sie sind vielleicht gar nicht putzsüchtig, sondern einfach nur größenwahnsinnig.
Feindliche Lebensformen
Ihre Beziehung zu Schmutz gleicht einer toxischen Liebesaffäre. Je mehr Sie ihn loswerden wollen, desto intensiver nehmen Sie ihn wahr. Während andere Menschen einen Raum betreten und denken „Ah, ein Zimmer“, scannen Sie die Umgebung. Staub unter der Kommode: 3,7 Millimeter, Wasserfleck am Fenster: 2 Tage alt, Fussel am Teppich: feindliche Lebensform. Es ist fast bemitleidenswert. Sie sind wie eine Zahnärztin, die nicht mehr in der Lage ist, das schöne Lächeln ihres Gegenüber zu sehen, sondern nur die Plaque am hinteren Backenzahn.
Haben Sie denn jemals Besuch? Nein? Ich würde auch niemanden besuchen, der mir bei der Türschwelle schon suggeriert: „Atme nicht! Schwitz nicht! Berühr nix! Am besten schwebst du!“ Hätten Sie gerne Besuch? Ja? Ach, das Leben kann so grausam sein in seiner Perfektion. Hier eine schmutzige Wahrheit: Perfektion ist die Feigheit der Mittelmäßigen. Wer alles sauber hat, hält das Leben auf Distanz. Es ist Selbstsabotage mit Lavendelduft.
Heinrich, Brunhilde und Karl
Hören Sie auf zu kämpfen und kapitulieren Sie. Bakterien haben Dinosaurier überlebt, Eiszeiten getrotzt und werden auch Ihren Putzzwang aushalten, weil sie die wahren Herrscher dieses Planeten sind. Sie hingegen sind nur deren vorübergehender Gastgeber.
Was ich Ihnen rate? Einen Ausflug in ein Museum für moderne Kunst. Betrachten Sie stundenlang ein völlig weißes Bild und fragen Sie sich: „Ist das sauber oder einfach nur leer?“ Befreien Sie sich aus der sinnlosen Zwangsjacke des Glanzes und transformieren Sie Ihren Ekel in Zuneigung. Geben Sie jedem Bakterium einen Namen und eine Persönlichkeit. Heinrich ist besonders frech, Brunhilde vermehrt sich gerne. Und wenn Sie trotzdem mal was wegputzen müssen, veranstalten Sie eine kleine Trauerfeier: „Hier liegt Kalkfleck Karl. Er war ein guter Fleck!“
Das schaffen Sie nicht? Dann legen Sie sich eine Katze zu. Nichts heilt Ihren Putzzwang schneller als ein Tier, das auf Ihren frisch aufgewischten Boden pinkelt und Ihnen dabei in die Augen schaut.
Sie haben eine Katzenallergie? Dann behandeln Sie Ihren Putzzwang wie einen ungestümen Hund. Lassen Sie ihn nicht auf die Möbel oder an andere Menschen. Sie können auch radikal vorgehen: Statt Oberflächen zu schrubben, polieren Sie Ihr Selbstvertrauen. Eine geschliffene Zunge hinterlässt mehr Eindruck als ein glänzender Fußboden. Daten Sie einen Messie und verbringen Sie ein Wochenende bei ihm, ohne putzen zu dürfen. Danach Sind Sie entweder geheilt oder wahnsinnig. Beides wäre ein Fortschritt.
So, das macht dann 200 Euro bitte, aber nur in bar, weil Geld kann man waschen.
Die Autorin: Aida Loos tourt ab Herbst wieder mit ihrem Soloprogramm „Zeitloos“ durch Österreich (z. B. 16. 10., Kulisse Wien).
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