Aida Loos ist freudloos: Ich habe ein Burnout
Von Aida Loos
Sie haben ein Burnout? In meiner Praxis? Wie originell!
Gratuliere, da haben Sie sich ja die Louis-Vuitton-Tasche unter den seelischen Leiden ausgesucht! Jeder möchte sie, aber die wenigsten können sie sich leisten und begnügen sich mit der Fake Version namens „Erschöpfung“, aber Sie! Sie gönnen sich noch das Original, das hauptsächlich dazu da ist, andere neidisch zu machen. „Schaut doch nur, wie wichtig ich bin. Ich bin so wichtig, dass selbst mein Körper diese Wichtigkeit nicht mehr aushält!“ Ein formidabler Orgasmus der Selbstausbeutung. Respekt, das ist ungefähr so exklusiv wie Frustessen mit Kaviar!
Doch, doch mein müder Freund, ich nehme Sie sogar sehr ernst. Mehr als das! Ich glaube nur, Sie leiden gar nicht an einem Burnout. Sie genießen es!
Sie achten eh auf Ihre Work-Life-Balance? Ich bitte Sie, das klingt doch nach einer Marketingkampagne von Buddhisten mit BWL-Abschluss. Als ob man das Hamsterrad nur in eine Feng-Shui optimierte Position drehen müsste, dass es sich in einen Motivationsraum verwandelt.
Kanarienvogel im Kohlebergwerk
Time-Management, sagen Sie? Time-Management ist Zeitverschwendung. Die Zeit managt sich auch ohne Sie. Was Sie brauchen, ist ein Ausreden-Management!
Sie denken über ein Sabbatical in Bali nach? Wollen Sie wirklich mit anderen privilegierten Westlern Ihre Privilegien betrauern? Wie wäre es mit Nord-Sibirien? Dort sind die Prioritäten glasklar: nicht erfrieren. Dort hat Ihr Burnout keine Chance.
Vielleicht ist es auch lediglich das letzte Aufbäumen eines Gewissens, das sich weigert, den Triumph der Belanglosigkeit zu akzeptieren. Ihr Burnout ist wie moderne Kunst. Jeder behauptet, es zu verstehen, aber in Wahrheit ist es nur ein teures Missverständnis.
Wissen Sie, Kafka hatte einen toxischen Vater und litt unter Tuberkulose, während er den „Prozess“ schrieb. Beethoven komponierte taub, Nietzsche wurde wahnsinnig, aber wenigstens hatte er den Anstand, vorher noch „Also sprach Zarathustra“ zu beenden. Und Sie? Sie verlieren Ihren Verstand, weil sie nach 16 Uhr zu einem Meeting müssen? Wissen Sie, was mein Ururgroßvater Sigmund Freud zu ihrem Burnout gesagt hätte? Nichts. Er hätte Ihnen Kokain verschrieben, damit Sie endlich in die Gänge kommen. Ich hingegen interessiere mich für Ihre Browser-Historie. Die wahren Abgründe des modernen Menschen verbergen sich nicht im Unbewussten, sondern im Inkognitomodus. Sie haben keine Geheimnisse? Schade, dann haben Sie ja nichts, was den Menschen ausmacht.
Was Sie jetzt tun können? Das ist ja genau Ihr Problem. Dieses ewige Tun.
Die einfachste Lösung wäre natürlich, Ihre Arbeit zu genießen, aber bleiben wir realistisch: Verwandeln Sie Ihre Erschöpfung in Kunst! Sie brauchen keine Therapeutin, Sie brauchen eine Choreografin! Die Gesellschaft liebt nichts mehr als einen gut inszenierten Nervenzusammenbruch.
Sie sind künstlerisch nicht begabt? Tja, dann werden Sie halt mittelmäßig. Mittelmäßigkeit ist der bestbeschützte Ort der Welt! Oder werden Sie zum Kanarienvogel im Kohlebergwerk!
Jedes Mal, wenn Sie am Büroobstkorb vorbeigehen, müssen Sie niesen. Wenn jemand Deadline sagt, fallen Sie in Ohnmacht. Und wenn jemand fragt: „Wie gehts dem Projekt?“, fangen Sie zum Jodeln an.
Werden Sie gezielt schlecht in Dingen, die Sie nicht tun wollen. Halten Sie Präsentationen nur noch in Zeitlupe. Sprechen Sie wichtige Namen absichtlich falsch aus. Nennen Sie Ihren CEO konsequent „Daddy“. Erscheinen Sie erst kurz vor Ende zu den Meetings. Wenn Sie Ihr Chef fragt, wo Sie waren, sagen Sie: „Ich hab an meiner Work-Death-Balance gearbeitet, Daddy!“ Feiern Sie jedes gescheiterte Projekt mit einer spontanen Polonaise durchs Büro.
Außerdem: Beschweren Sie sich bei ihrer Zimmerpflanze über sich selbst oder kaufen Sie sich gleich einen Kaktus. Der überlebt auch ohne Ihr Zutun, genauso wie Ihre Firma. Und wenn es Ihnen richtig schlecht geht, setzen Sie sich drauf. Dann haben Sie ein neues Problem und das Burnout ist vergessen.
Und wenn alles nichts hilft, dann geh’n S’ in ein Café. Setzen Sie sich hin. Bestellen S’ eine Melange. Und bleib’n S’ dort. Für immer.
Das macht dann 200 Euro, aber bitte nur in bar, weil mein Bankomat hat auch ein Burnout. (Termine: www.aidaloos.com)
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