Aida Loos ist freudloos: Ich hab’ Angst vor Menschenmassen
Von Aida Loos
Sie haben Angst vor Menschenmassen? Menschen nennen Sie das? Wie überaus großzügig von Ihnen und wie vollkommen antiquiert! Während andere längst panische Angst vor dem Gendersternchen haben, fürchten Sie noch klassisch den Menschen im Multipack, also das All-you-can-eat-Buffet der Persönlichkeitsstörungen. Sie sind da doch nur die strenge Gastgeberin, die auf Tischmanieren pocht! Denn was ist eine Menschenmasse im Jahre 2025 anderes als ein kollektiver Nervenzusammenbruch mit WLAN-Zugang.
Wissen Sie, jeder Mensch trägt seinen eigenen kleinen Kosmos mit sich herum: seine Sorgen, seine unbezahlten Rechnungen, seine gescheiterten Beziehungen. Ich muss Ihnen gratulieren, mein liebes Angsthäschen, Ihre Angst ist eigentlich eine hochentwickelte Form der Empathie! Sie fürchten sich nicht vor Menschen, Sie fürchten sich vor der geballten Ladung unausgesprochener Dramen. Sie sind nicht das Problem, Sie sind die Lösung. Sie sind nicht krank, Sie sind zu gesund.
Früher hatte die Masse ja wenigstens noch die Würde, für eine Revolution zusammenzukommen. Man hatte das gleiche Ziel, den Sturm auf die Bastille! Heute aber erobern die Massen nur noch den Apple-Store wie Zugvögel mit Kreditkarte oder stehen Schlange für den neuesten Bubble-Tea, der so schmeckt, als hätte der Regenbogen Durchfall. Da ist Ihre Angst die einzig adäquate Reaktion auf den kollektiven Ausverkauf des Geistes!
Sie können nicht mit der U6 fahren? Teuerste, niemand kann mit der U6 fahren. Wir überleben sie nur und versuchen dabei, nicht den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Ich bitte Sie, die U6 ist ein Wanderzirkus der Sinne, durch die Tiefen des Wiener Unbewussten, wo Träume sterben, Gerüche dafür für immer leben. Von Siebenhirten bis Floridsdorf, eine Perlenkette der Ernüchterung.
Meidling – Mumbai
Haben Sie nicht von diesem einen Fall gehört, als einer in der U6 eingeschlafen ist und nach dem Aufwachen geglaubt hat, er ist in Mumbai? Die Zeitungen waren voll damit. Er hat mitten im Waggon begonnen, Curry zu kochen. Das wurde dann ein beliebtes Pop-up- Restaurant, bis ihm die Wiener Linien draufgekommen sind.
Sie finden Menschen in Gruppen gefährlich? Das sind sie auch, weil jeder Einzelne insgeheim hofft, dass jemand anderes das Denken übernimmt. Je mehr Köpfe, desto weniger Hirn. Eine Menschenmasse ist stets so dumm wie ihr dümmster gemeinsamer Nenner, und Ihre Angst ist nichts anderes als ein Airbag in der unvermeidlichen Kollision mit der Stumpfsinnigkeit.
Mein Ururgroßvater hätte Ihnen jetzt geraten, sich Ihren Ängsten schrittweise zu stellen. Lächerlich! Als könnte man eine berechtigte Abneigung durch wiederholte Konfrontation heilen. Versuchen S’ das mal mit Lakritze oder – Gott bewahre – Crocs!
Ich empfehle Ihnen, Ihren Blick auf die Menschenmasse zu ändern. Erstens, zählen Sie alle, die auf ihr Smartphone starren. Wer online ist, ist nicht anwesend. Das reduziert die Masse bereits um 70 %. Zählen Sie auch alle Apple Watches. Wer so was trägt, ist nur eine wandelnde Herzfrequenz-Statistik.
Sie könnten Ihre Angst auch zu Geld machen. Entwickeln Sie ein Navigationssystem! Die "NiemandWeitundBreit"-App. Mit Frühwarner, der Menschenmassen rot markiert wie Masern. "Achtung! In 200 Metern eine Schulklasse auf Zuckerschock. Umleitung durch den Palmers empfohlen!" Die Premium-Funktionen könnten den "Ex-Freund-Radar" beinhalten, von dem Sie wie ein Flugzeug um eine Gewitterwolke gelotst werden, sowie einen "Small-Talk-Detektor", der Sie bei hoher Dichte an faden Gesprächen vorbeugend anruft.
Und vergessen Sie nicht auf das "U6-Barometer" – das zeigt genau an, in welchem Waggon die wenigsten Menschen sitzen. "Dritter von vorne: Nur ein desillusionierter Pendler, ein schlafender Punk und eine ehemalige Wurstsemmel!"
Sie sind technisch nicht begabt? Tja, dann fahren S’ halt nur noch mit der Badner Bahn, und falls Sie sich trotzdem in eine Menschenmasse verirren sollten, denken Sie daran: Die meisten Menschen sind wie Tankschiffe. Auf den ersten Blick bedrohlich, aber eigentlich sehr langsam und schwerfällig. Wenn Sie einem Tanker ausweichen wollen, haben Sie locker drei Wochen Zeit.
So, das macht dann 200 Euro bitte! Aber nur in bar, weil mein Bankomat hat auch Angst vor Menschenmassen.
Die Autorin: Aida Loos tourt derzeit mit ihrem Soloprogramm "Zeitloos“ durch Ö. Nächster Termin: 23. 5. Kulisse Wien (www.aidaloos.com)
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