Aida Loos ist freudloos: Ich habe keine Freunde
Sie haben keine Freunde? Mein herzliches Beileid! Nein, warten Sie, das war falsch formuliert. Ich meinte: Meine aufrichtigsten Glückwünsche, denn wissen Sie, was Sie auch nicht haben? Emotionale Schulden. Überlegen Sie doch mal: Was ist eine Freundschaft anderes als ein kalkuliertes Kleinunternehmen, das ständige Kosten-Nutzen-Analysen durchführt, und zwar mit der Währung Aufmerksamkeit, die man wie Geld nur dann herborgt, wenn man sich sicher sein kann, alles zurückzukriegen. „Ich höre mir deine Beziehungsprobleme an, dafür musst du meine Urlaubsfotos liken.“
Früher musste man für eine Freundschaft noch durch Feuer gehen – heute reicht es, wenn man online geht. Die Tragik ist, dass jeder, der weniger als 3.000 Freunde hat, ungefähr so relevant ist wie ein Faxgerät. 3.000! Nicht einmal die katholische Kirche behauptet, so viele Freunde zu haben, und die rechnet auch die Toten mit.
Geradezu ordinär
Gemocht zu werden ist heutzutage geradezu ordinär. Jeder Influencer mit zwei Gehirnzellen und einem Ring-Licht wird gemocht, aber konsequent unbeliebt zu sein, das meine Liebe, das erfordert Charakter!
Sie sind sozusagen der schimmelnde Gorgonzola der Gesellschaft – eine geschmackliche Herausforderung, die nicht jeder zu würdigen weiß und schon gar nicht Menschen mit simplen Geschmacksnerven.
Aber Sie wären so gerne Teil einer Clique? Ich bitte Sie! Jeder Freundeskreis ist eine eigene Wallstreet mit sprunghaften Sympathie-Aktien und emotionalen Insider-Geschäften. Alle tun so, als wären sie eine große Familie, dabei konkurriert jeder mit jedem um den Titel „Lieblingsmensch“. Es ist wie bei den Habsburgern, nur mit weniger Inzest und mehr Insta.
Wissen Sie, warum es „beste Freundin“ heißt? Weil selbst die Sprache zugibt, dass der Rest Ihrer Kontakte parasitäre Zeitfresser sind. Wenn das Freundschaft ist, dann ist meine Beziehung zum Trafikanten eine Romanze.
Vor gar nicht allzu langer Zeit waren schlechte Freunde einfach schlechte Freunde. Heute sind sie „toxisch“, als wären sie radioaktiv verstrahlt und nicht einfach nur langweilig oder selbstsüchtig.
Wichtig ist jetzt, unbedingt dranzubleiben. Ich empfehle Ihnen: Korrigieren Sie ab jetzt zusätzlich die Grammatik Ihres Gegenübers. Ach das tun Sie schon? Wunderbar, aber vergessen Sie während Grabreden auch nicht darauf. Trauer ist keine Entschuldigung für sprachliche Nachlässigkeit. Das wäre emotionale Erpressung durch Mortalität. Erklären Sie Fleischessern die moralische Überlegenheit von Quinoa und teilen Sie ungefragt Ihre Meinung zu Impfungen, Diäten und Kindererziehung, idealerweise alle drei Themen in einem Satz.
Dafür sind Sie zu introvertiert? Gut, dann schreiben Sie halt eine Danksagung an alle Freundschaften, die nie zustande kamen, und werden Sie Ihre eigene beste Freundin. Selbstliebe ist wie Nächstenliebe, nur ohne dem lästigen Nächsten. Falls Sie sich nicht genügen sollten, entwickeln Sie multiple Persönlichkeiten. Da findet sich bestimmt eine darunter, die Sie mag.
Sie könnten auch ein Gefühlsembargo etablieren. Während die USA Länder mit Sanktionen belegt, verweigern Sie den Export emotionaler Ressourcen. Betrachten Sie Ihre Freundschaftslosigkeit als Steuerparadies der Emotionen und verlegen Sie Ihr Gefühlsvermögen auf die Cayman Islands Ihrer Seele.
Die Katze zählt
Aber Sie sehnen sich trotzdem nach Freunden? Tja, dann müssen S’ schauen, dass Sie schleunigst reich werden oder zumindest witzig. Das ist unrealistisch? Gut, dann definieren Sie „Freunde“ halt einfach neu. Ihre Katze zählt! Der Trafikant zählt! Und der Barista, der Ihren Namen falsch schreibt, zählt sogar doppelt.
So, das macht dann 200 Euro. Aber bitte nur in bar, weil meinen Bankomaten mag auch niemand.
Die Autorin: Aida Loos tourt derzeit mit ihrem Soloprogramm „Zeitloos“ durch Österreich (www.aidaloos.com).
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