93 Kilo stimmen nicht mehr

"ÜberLeben": Von Honigbroten, falschen Gewichtsangaben und vom Dialekt.
Guido Tartarotti

Guido Tartarotti

Vor einigen Tagen stand ich in der Ordination meiner sehr netten Ärztin, und die Assistentin fragte mich: „Hat sich etwas verändert seit dem letzten Mal? Adresse, Telefonnummer, Körpergewicht?“ Ich antwortete: „Adresse und Telefonnummer stimmen noch. Und welches Körpergewicht haben Sie in Ihren Unterlagen stehen?“ Die Assistentin schaute in ihren Computer und sagte: „Vor zwei Jahren haben Sie angegeben ... 93 Kilo.“

Und da musste ich lächeln. Nein, 93 Kilo stimmte nicht mehr. Die Zahl hatte schon vor zwei Jahren nicht gestimmt, aber auf andere Weise, als sie jetzt nicht stimmte.

Meine Eltern waren Deutsch- und Sportlehrer. Wir Kinder wurden in diesem Sinne erzogen und lernten früh: Man muss den zweiten Konjunktiv und den Felge-Aufschwung beherrschen, dann kommt man halbwegs unfallfrei durchs Leben. (Dachten jedenfalls unsere Eltern.)

Dialekt zu sprechen war bei uns zu Hause ebenso verboten, wie dick zu werden. Meine Eltern empfanden Dialektausdrücke als schwere Sachbeschädigung an der geistigen Kultur – und zu viel Bauchfett als Beleidigung der Körperkultur. Meine Eltern sind heute über 70 und haben immer noch ihr Idealgewicht. Meine Schwester ist Ende 40 und durchtrainiert wie eine Leistungssportlerin. Nur ich verband von Kindheit an eine Vorliebe für Honigbrote mit einer fatalen Neigung, schon zuzunehmen, wenn ich nur an Honigbrote dachte. Und ich dachte sehr oft an Honigbrote.

Zurück in die Ordination meiner Ärztin: Ich musste lächeln. Denn als ich vor zwei Jahren „93 Kilo“ angegeben hatte, waren es in Wahrheit 98 gewesen.  Die gute Nachricht: Jetzt stimmen beide Zahlen nicht mehr. Ich hatte nämlich, ganz ohne Selbstbetrug, ordentlich abgenommen in der Zwischenzeit. „93 Kilo stimmen nicht mehr“, sagte ich zu der Assistentin. „Es sind nur noch 83.“ Und das war, ausnahmsweise, die volle, schlanke Wahrheit.

 

Die KURIER-Kolumnisten Guido Tartarotti und Birgit Braunrath präsentieren ihr Programm "Glücklich geschieden" am 5. März und am 2. April in der Kulisse in Wien.

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