Sprachpoetische Rede mit blumigen Bildern
Sehr poetisch, ja im wahrsten Sinn des Wortes blumig, gestaltete Muhammad Jijeh seine Rede. In der deutschsprachigen Version liest sich das gleich zu Beginn so: „Der Ursprung jeder Pflanze ist ein Same, somit ist auch der Mensch der Same im menschlichen Boden und in der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. So, wie der Same eine Umgebung und einen geeigneten Boden braucht, braucht auch der Mensch eine geeignete Umgebung, um sich entfalten zu können, um ein wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu werden und um wirksam in der menschlichen Zivilisation zu sein.“
Der 20-jährige Schüler der Handelsakademie in Bruck an der Leitha (NÖ) wuchs im syrischen Aleppo auf: „Ich als Mitglied dieser menschlichen Gesellschaft hatte in meinem Heimatland Syrien nie die Gelegenheit, dieses produktive Individuum in der zivilisierten Gesellschaft zu sein, da dort jahrelang Krieg herrschte. … Die Windrichtung war gegen meinen Weg, die Bedingungen verhinderten mein Wachstum und die Umwelt verletzte mich. So überließ ich mich dem Spiel des Windes! Ich fasste den Entschluss, auszuwandern und nach einem geeigneten Klima zu suchen. Wie es das Schicksal so wollte, trieb es mich in ein anderes Land, das Österreich genannt wird.“
Flucht nur mit dem Bruder
Als Jugendlicher flüchtete er – nur mit einem Bruder, die Eltern wollten nicht weg, da der Vater als Rechtsanwalt kaum Chancen in einem anderen Land, einem anderen Rechtssystem gesehen hat – über die Türkei, das Mittelmeer nach Griechenland und weiter nach Mitteleuropa.
Vor fünf Jahren landete er im niederösterreichischen Bruck/Leitha, besuchte einen Deutschkurs. Den besten winkte eine Aufnahme in die Handelsakademie. Dort besucht er nun die vierte, also die vorletzte Klasse. Seit drei Jahren, so erzählt er dem Kinder-KURIER, „lebe und wohne ich in Wien, fahre aber täglich nach Bruck in die Schule. Das sind ungefähr eineinhalb Stunden mit der Bahn in eine Richtung.“ Die Fahrzeit nutzt er oft zum Lesen, beim Rückweg auch um „gleich Hausübungen zu machen“.
Neue Blätter, neue Sprache
„So habe ich mich entschieden zu wachsen, das heißt eine Schule zu betreten. Das habe ich getan. Es ist mir gelungen und ich habe von dem Klima, das ich gesucht habe, profitiert. Dieses Klima wurde von den Österreicherinnen und Österreichern erzeugt. Hier bin ich dann gewachsen, habe neue Blätter bekommen und dadurch eine neue Sprache gelernt.“
In Syrien hatte er in der Schule natürlich Arabisch sowie „Englisch und Französisch“. Fallen ihm also Sprachen leicht? „Nicht vom Lernen in der Schule, nur durchs Anwenden, das Reden mit anderen. So bin ich auch in Englisch viel besser geworden, als ich es in der Schule in Aleppo war. Mein Deutsch hat sich neben dem Kurs vor allem dadurch verbbessert, dass ich es im Kontakt mit anderen Menschen verwendet habe.“
Medizin
Nach der HAK will der 20-Jährige studieren – aber nicht einschlägiges wie Wirtschaft, „sondern Medizin, weil ich anderen Menschen helfen will“.
In seiner Rede (Arabisch) sagt er auf Deutsch: „Ich verhehle nicht, dass ich mir folgende Frage gestellt habe. Soll ich in mein Heimatland zurückkehren, nachdem ich gewachsen bin, nachdem ich reif geworden bin? Erfülle ich damit die Loyalität meinem Vaterland gegenüber? Oder bleibe ich in dem Land, das mir meine Wachstumsmöglichkeit zur Verfügung gestellt hat? Und gebe ich damit meinem neuen Zuhause etwas zurück? Bin ich dort angekommen, um zu bleiben?
Nach sehr vielen Überlegungen, habe ich mich für diese Option entschieden. Ich will eine besondere Pflanze sein, die in einem neuen Land wächst, weil das das beste Klima für mich war und immer noch ist. Und so habe ich mich entschieden, hier zu bleiben."
Danke/Shukran/Thank's/Merci,
Link zur Rede von Muhammad Jijeh
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