Wenn Licht krank macht: "Wir nennen uns auch Schattenspringer"
Lange Zeit musste Jasmin Barman-Aksözen das Licht und die Sonne meiden, um keine Schmerzen zu haben. Erst im Alter von 27 Jahren, als bei ihr eine Erythropoetische Protoporphyrie (EPP) diagnostiziert wurde, wusste sie den Grund. In der Doppelrolle als Patientin und Wissenschaftlerin hat sie am Schweizer Stadtspital Triemli in Zürich an der Entwicklung eines Wirkstoffs mitgeforscht, der 2014 EU-weit zugelassen wurde und das Leben der Betroffenen normalisieren kann. Im Interview erzählt die Molekularbiologin über das Leben mit der Lichtkrankheit, ihre eigene Forschung dazu – und warum manche Siege nicht das Ende eines Kampfes bedeuten.
Frau Dr. Barman-Aksözen, wie sehr ist die Lichtkrankheit in der Allgemeinheit bekannt?
Jasmin Barman-Aksözen: Die Öffentlichkeit – und auch Ärzte – kennen sie kaum. Aber man muss bedenken, nur eine Person von 150.000 ist betroffen. In Österreich etwa 60 Menschen. Aber gegenüber anderen seltenen Erkrankungen ist die EPP für Außenstehende einigermaßen „spannend“. Das hilft, Aufmerksamkeit zu schaffen. An der Zunahme der Diagnosen sehen wir, dass sie steigt. Schön ist, dass die Krankheit vermehrt im Kindesalter entdeckt wird. Meist dauert das ja Jahrzehnte – und gerade für Kinder ist eine unerkannte EPP besonders schlimm.
Was sind die großen Missverständnisse rund um die EPP?
Viele meinen, das Auftragen von Sonnencreme reicht. Das steht sogar in Fachbüchern oder Fachartikeln. Aber Sonnencremen filtern vor allem UV-B-Licht. Wir reagieren aber auf den sichtbaren Anteil des Lichts, der zum Beispiel auch durch Glasscheiben dringt. Darum sind unsere Wohnungen abgedunkelt, in der S-Bahn wählen wir schattige Sitzplätze. Künstliches Licht ist ebenfalls ein Problem, sehr eklig sind Energiesparlampen. Das Zweite ist der Schweregrad der Beschwerden. Da die fototoxische Reaktion in den Adern stattfindet, gibt es lange keine sichtbaren Zeichen. Von Außenstehenden werden die Schmerzen oft mit denen eines Sonnenbrandes verglichen, aber niemand würde mehr Sonnenbaden gehen, wenn er solche Konsequenzen fürchten müsste. Die Beschwerden sind mit dem Greifen auf eine heiße Herdplatte vergleichbar. Darum tun wir ja alles, um Licht zu meiden. Darum nennen wir uns Schattenspringer, wir laufen von einem Schatten zum nächsten. Denn fangen die Reaktionen einmal an – teils nach wenigen Minuten –, sind die Schmerzen unerträglich und wirken im schlimmsten Fall mehrere Tage nach.
Die Erythropoetische Protoporphyrie (EPP) ist eine erbliche Stoffwechselerkrankung, die nicht gleichzusetzen ist mit einer Licht- oder Sonnenallergie. Durch einen Gendefekt bekommen Betroffene beim Aufenthalt in der Sonne bzw. im Licht massive Schmerzen. Beschwerden treten oft schon nach Minuten auf.
Schuld ist eine Störung bei der Bildung des roten Blutfarbstoffs. Dieser besteht normalerweise aus dem Molekül Protoporphyrin und Eisen in seiner Mitte. Bei EPP wird ein Enzym, das dazu dient, diese beiden Elemente zu einer Einheit zu verbinden, nicht in einem genügend hohen Ausmaß produziert. Das Resultat: ein Überschuss an Protoporphyrin-Molekülen, die der Körper nicht abtransportieren kann, stattdessen lagern sie sich überall im Körper ab – auch in der Haut. Ist eine Körperpartie exponiert (besonders Handrücken und Gesicht), reagieren die Moleküle nach kürzester Zeit auf das Licht, das in die Haut eintritt. Das Gewebe wird geschädigt und löst dort eine Art Verbrennung aus. Warnzeichen sind ein Jucken und Beißen, ein Prickeln in der Haut. Gängige Schmerzmittel sind wirkungslos. Sichtbare Reaktionen (wie Rötungen, Schwellungen oder Ödeme) treten nicht immer oder erst nach Stunden auf.
Hilfe durch Implantat
Im Jahr 2014 wurde die Therapie mit dem Wirkstoff Afamelanotid EU-weit zugelassen. Dabei wird ein künstliches Hormon unter die Haut implantiert. Für rund zwei Monate regt es die Bildung von Melanin an und wirkt entzündungshemmend. Beides reduziert die Photosensibilität der Haut. Da die Kostenübernahme ungeklärt ist, wird sie aber auch in Österreich nur selten verordnet.
Lange gab es ja als Gegenmaßnahme nur das Vermeiden von Licht und das Tragen von Schutzkleidung.
Man wird zum eigenen Spezialisten. Das geht soweit, dass man morgens aus dem Fenster schaut und recht gut abschätzen kann, wie aggressiv die Wetterbedingungen sind und was man wie lange draußen tun kann. Viele EPPler tragen aufwendige Schutzkleidung, damit keine Hautstelle exponiert ist, auch vor dem Gesicht, was wiederum Unverständnis bei anderen hervorrufen kann. Ich hatte früher zum Schutz immer einen Sonnenschirm mit spezieller Beschichtung dabei. Bei Frauen akzeptiert man das schon eher, Männer mit EPP wiederum werden dann häufig angestarrt. Der Schirm hilft aber auch nur bedingt. Das Licht kommt ja nicht nur von oben, sondern wird von hellen Oberflächen – Hauswände, Böden, Wasseroberflächen, aber auch Nebel und Wolken – zurückgeworfen.
Die neue Therapie mit Afamelanotid muss lebensverändernd auf Sie gewirkt haben?
Ich kann mich an den Moment erinnern, als ich meinen Schirm, der so lange ein fixer Begleiter war, zum ersten Mal zuhause vergessen hatte. Das war zuvor undenkbar. Ich bin aufgewachsen und die Sonne war der Feind, eine Bedrohung. Sich das erste Mal unter Therapie hinauszutrauen und lange draußen zu bleiben, war ein Willensakt. Man hat ja immer noch Ängste. Nach und nach vertraut man der Wirkung und bleibt immer länger im Freien. Bei mir war es so, dass irgendwann schon mein Mann unruhig wurde und mich gefragt hat, ob ich jetzt nicht doch lieber in den Schatten möchte (lacht). Diese Normalität zu erfahren und die Entspannung, nicht immer vorausplanen zu müssen, was man wie erledigt, war unglaublich. Nur wenn ganz viel indirektes Licht vorhanden ist, muss ich immer noch aufpassen. Aber in der S-Bahn zum Beispiel kann ich mich irgendwo hinsetzen und muss nicht mehr darüber nachdenken, in welcher Kurve die Sonne durchs Fenster scheinen wird.
Schauen Sie heute noch den Wetterbericht?
Ja, sicher. Es könnte ja regnen (lacht). Aber ernsthaft: Ich genieße diese Unbeschwertheit sehr. Ich erwische mich manchmal dabei, dass ich aus dem Fenster schaue und mir ganz einfach nur denke: "Wow, was für ein schöner Tag mit viel Licht und Sonne."
Im Jahr 2014 wurde die Therapie mit Afamelanotid für Erwachsene von der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur) zugelassen. Was war das für ein Moment?
Wir haben gedacht, jetzt haben wir es geschafft. Dann kam die Ernüchterung. Bis heute haben die wenigsten EPP-Patienten Zugang zum Medikament. Das macht mich so wütend. Es gibt ja keine Alternative zur Therapie. Sie ist es, die uns ein normales Leben ermöglicht und trotzdem gibt es so viele Hürden. Wir dachten, wir haben die Zulassung und das heißt, Patienten können behandelt werden, aber das muss in jedem einzelnen EU-Land verhandelt werden, wer die Behandlung bezahlt. Das Schlimme ist: Finden Erwachsene keinen Zugang, wird es auch keine Kinderstudien geben. Denn die bestehende Therapie lässt sich nicht auf Kinder umlegen. Das ist für mich auch weiterhin einer der Hauptantriebe, um mich weiter dafür einzusetzen.
Warum ist die Lichtkrankheit speziell für Kinder so schlimm?
Als Kind unterliegt man vielen Zwängen: Man muss zum Kindergarten oder zur Schule gehen, man muss zum Sportunterricht. Ist die Krankheit noch nicht erkannt, verstehen Eltern oder Lehrer nicht, warum man nicht ins Freie will. Die Beschwerden werden als Überempfindlichkeit oder als Ruf um Aufmerksamkeit abgetan. „Stell dich nicht so an“, hört man da oft. Es entstehen schnell Situationen, in denen man sich ausgeliefert fühlt - wenn etwa die Beschwerden mitten am Schulausflug auftreten. Da kann man nicht zurückbleiben, sondern muss weitergehen. Aber auch wenn die Diagnose gestellt ist, ist es schwierig. Man spürt den sozialen Druck, wenn man zum Beispiel der Grund ist, dass eine Aktivität abgebrochen worden ist, an der alle anderen gerade Spaß hatten. Oder man wird wegen der Schutzkleidung gehänselt. Als Erwachsener ist man selbstbestimmter, es fällt leichter im Alltag das Licht zu meiden, auch ohne Diagnose.
Mit Wissenschaftlern und Medizinern, die ebenfalls EPP haben, haben Sie den Verein IPPN (International Porphyria Patient Network) gründet, der u. a. nationale Patientenorganisationen in Zulassungs- und Erstattungsprozessen unterstützt.
Die Patientenorganisationen benötigen Hilfe, da die EMA unsere Daten anders ausgewertet hat, aber die nationalen Behörden darauf Bezug nehmen. Eigentlich sind ja solche nachträglichen Analysen verpönt. So wurde die Zeit, die die Patienten mit Therapie in den Studien an der Sonne verbringen konnten, durch den gesamten Studienzeitraum geteilt, also inklusive Regentagen. Das verzerrt Effekt und Nutzen der Therapie, sie wirkt viel kleiner als in der Original-Publikation. Leider beziehen sich aber die nationalen Behörden in ihrer Argumentation auf den Abschlussbericht der EMA, die die Wirkung der Therapie als nicht gesichert angegeben wird. Für uns ist das absurd. Das widerspricht unseren Ergebnissen und Erfahrungen. Anfang Oktober hat aber die FDA, die Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten, die Therapie endlich auch zugelassen. Es war nicht abzusehen, wie der Entscheid aussehen würde, und wir waren alle extrem angespannt vorher. Der positive Entscheid wird uns in Europa helfen, denn die FDA hat die Zulassung einstimmig beschlossen und ist überzeugt von der Wirksamkeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Infos: EPP-Selbsthilfegruppe in Österreich www.eppaustria.at
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