Unruhige Kinder: Reflexe als Ursache

Unruhige Kinder: Reflexe als Ursache
Nicht stillsitzen können, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten oder fehlende Impulskontrolle können Hinweise sein.

Jedes Baby entwickelt noch im Mutterleib Reflexe. Sie werden durch Reize aus der Umwelt ausgelöst und sichern sein Überleben. Der Saugreflex führt etwa dazu, dass ein Neugeborenes zu saugen beginnt, wenn seine Lippen berührt werden. Diese automatischen Muster verschwinden im Lauf des Kleinkindalters. „Durch Stress, Rauchen oder Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kann dieser Prozess gestört werden. Auch eine verlängerte Geburt sowie Infektionen beim Neugeborenen, die die Entwicklung verzögern, können dazu führen, dass frühkindliche Reflexe erhalten bleiben“, sagt Susanne Greber-Platzer, Leiterin der Kinderklinik an der MedUni Wien.

Verzögerte Entwicklung

Bei erhalten gebliebenen Reflexen reagiert ein Schulkind nicht so wie ein Neugeborenes. Meist fällt es durch Entwicklungsverzögerungen auf – oft zeigt sich das erst im Schulalter, etwa durch Konzentrationsprobleme, nicht stillsitzen können, Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten oder fehlende Impulskontrolle. Das Nervensystem kann die Reflexe meist unterdrücken, dennoch binden sie Aufmerksamkeit, die den Kindern dann fehlt. „Hinweise können sein, dass ein Kind oft hinfällt, es scheint patschert, ist in der Grob- und Feinmotorik oder in der Sprachentwicklung verzögert, tut sich schwer mit Lesen und Schreiben“, erklärt Greber-Platzer. Immer wieder erhalten solche Kinder fälschlich die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), da die Auffälligkeiten ähnlich sind. Bei ADHS sind allerdings nicht Reflexe die Ursache. Auf der Suche nach Hilfe kommen manche zu Nikola Krisch. Sie ist Reflexintegrationstrainerin und hat das Institut er.lern.bar gegründet. „Eltern, die zu mir kommen, haben meist schon viel probiert und einen ganzen Stapel an Befunden und Diagnosen. Wenn ein Schulkind etwa einnässt, wird oft nicht an anhaltende Reflexe gedacht. Vielmehr werden zunächst psychische Belastungen abgeklärt und unter Umständen eine hormonelle Behandlung versucht“, erklärt Krisch. Die RIT-Reflexintegration ist ein Programm, das helfen soll, frühkindliche Reflexe im Gehirn abzubauen. Ein Eltern-Fragebogen und eine eineinhalbstündige motorische Austestung des Kindes zeigen laut Krisch, ob anhaltende Reflexe vorliegen.

Anschließend sind vor allem die Eltern gefragt: Über einen Zeitraum von etwa einem Dreivierteljahr machen sie fünfmal pro Woche für je 15 Minuten Übungen mit ihrem Kind, die das Gehirn an neue Bewegungsmuster gewöhnen sollen. Schaukeln, Längs- und Querbewegungen oder sanfte Druckausübung sollen an Bewegungen im Mutterleib erinnern. Dabei wird Musik gehört, die beide Gehirnhälften stimulieren soll. Krisch: „In den ersten Wochen liegt das Kind und ein Elternteil macht sanfte Schüttelbewegungen, ähnlich den Bewegungen des ungeborenen Babys im Fruchtwasser.“

Studien fehlen

Erste Verbesserungen zeigen sich laut Krisch meist bei der Konzentrationsspanne oder in der Schrift. Aber auch das Verhalten ändert sich, indem etwa Wutanfälle weniger werden oder zurückhaltende Kinder mutiger handeln. Wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Programm gibt es bisher nicht. „Bei mir sprechen eher die Ergebnissse und Vergleichswerte für sich. Ich gebe aber den Eltern immer den Rat, sich bei Bedarf einzulesen“, sagt Krisch. Die empfohlenen Bücher beziehen sich auf anhaltende Reflexe, zum Programm gibt es noch keine. Susanne Greber-Platzer betont, dass Entwicklungsverzögerungen in jedem Fall von einem Kinderfacharzt abgeklärt werden sollten. Auffälligkeiten durch Reflexe könnten sich etwa auch mit Ergotherapie bessern.

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