Telefonseelsorge: 362 Gespräche am Tag in Krisensituationen

800 ehrenamtliche Mitarbeiter sind österreichweit für die Telefonseelsorge im Einsatz.
Starke Nachfrage nach dem Angebot. Suchtexperte Musalek: Suchtprobleme kulminieren vor Weihnachten.

„Ohne euch würde ich nicht mehr leben – und niemand würde mehr mit mir reden.“

„Ich bin seit zwei Jahren trocken, aber heute geht es mir sehr schlecht, ich habe Angst vor einem Rückfall.“

„Ich weiß, dass heute der 24.12. und noch so viel vorzubereiten ist. Aber ich komme mit meiner Depression nicht aus dem Bett.“

Drei Beispiele von132.000. So viele  Beratungsgespräche führte die "TelefonSeelsorge Österreich" - österreichweit erreichbar unter der Nummer 142 - im Jahr 2017 durch, das entspricht rund 362 Gesprächen pro Tag. Alleine in Wien sind es 100 Gespräche täglich, zehn Leitungen sind österreichweit rund um die Uhr besetzt (je eine pro Bundesland, in Wien sind es zwei). Die drei Hauptberatungsthemen sind Beziehungsprobleme (vorrangig Partnerschaftsprobleme), Einsamkeit (vorrangig Probleme mit der Alltagsbewältigung und Sehnsucht nach Kontakt)  und drittens Probleme als Folgen von psychischen Erkrankungen (Depressionen, Angstzustände, Panikattacken). Diese Bilanz zogen Montag Vertreterinnen der Telefonseelsorge in Wien.

"Menschen mit solchen Problemen erleben Weihnachten vorwiegend schmerzlich, weil es sie mit ihrer Verletzlichkeit, ihrer Einsamkei, inneren Leere und ihren unerfüllten Sehnsüchten in Kontakt bringt", sagt Marlies Matejka, Leiterin der "TelefonSeelsorge Wien". - "Viele haben gerade in der Weihnachtszeit Sehnsüchte, nach einer heilen Welt, nach einem tieferen Leben, nach Frieden, nach Versöhnung oder auch Traditionen", sagt auch Silvia Breitwieser, Leiterin der "TelefonSeelsorge Oberösterreich".

"Wir werden oft gefragt, welche Tipps man Menschen, die bei uns anrufen, geben kann", erläuterte Matejka. "Unsere Erfahrung ist: Die Menschen, die bei uns anrufen, wünschen sich am meisten ein offenes, zuhörendes Ohr, und nicht jemanden, der ihnen Ratschläge gibt." Zuhören und ein Gespräch könne Spannungen abbauen helfen.

Telefonseelsorge: 362 Gespräche am Tag in Krisensituationen

Experten-Trio: Marlies Matejka, Michael Musalek, Silvia Breitwieser (v.l..n.r.)

Frauen tun sich dabei leichter, Hilfe anzunehmen: 71 Prozent der Anrufer sind Frauen, 29 Prozent Männer. Die meisten Anrufenden sind zwischen 40 und 60 Jahren alt. Im Aufbau ist auch eine Onlineberatung: Hier gab es im Vorjahr österreichweit 3000 Anfragen per Mail und 830 Chats. Dieses Angebot wird vor allem von den 20- bis 35-Jährigen genutzt. 1998 erhielt sie - gleich einer Blaulichtorganisation - den amtlichen Notrufstatus.

Alkohol breit verfügbar

"In der Weihnachtszeit kulminiert auch das Suchtproblem", sagte Michael Musalek, ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien. Einerseits werde da viel wirtschaftlicher Druck - Kaufdruck - ausgeübt. "Das Hauptproblem ist aber, dass es eine Zeit der Rückbesinnung ist und eine Vorschau auf das, was man im nächsten Jahr machen möchte, aber vielleicht nicht umsetzen kann." Dies könne sehr belastend sein, "und wir haben gelernt, bei Belastung Substanzen zu uns zu nehmen, die diese Belastung etwas geringer erscheinen lassen".

Während es bei den Männern eine "leicht rückläufige Tendenz" beim problematischen Konsumverhalten gebe, gebe es bei den Frauen "dramatische, massive Zuwachsraten". Der Hauptgrund sei, "dass es heute wesentlich akzeptierter ist, dass Alkohol auch von Frauen getrunken wird, auch unter der Woche". Und auch die Verfügbarkeit von Alkohol habe sich leider dramatisch verbessert: "Jetzt in der Vorweihnachtszeit etwa gibt es zumindest in der Innenstadt kaum eine Straße und kaum einen Platz oder eine Straße, wo nicht Alkohol ausgeschenkt wird."

Musalek sieht auch noch ein anderes Grundproblem: „Wir leben in einer Erwartungsgesellschaft. Wir haben verlernt zu hoffen und erwarten uns vieles. Tritt diese Erwartung dann nicht ein, ist die Enttäuschung groß.“

Die Telefonseelsorge ist eine Einrichtung der österreichischen Diözesen, insgesamt gibt es rund 800 ehrenamtliche Mitarbeiter. Sie kommen aus allen Berufen und erhalten eine einjährige Ausbildung in Gesprächsführung und Krisenintervention.

 

 

 

 

 

 

 

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