Pubertät beginnt immer früher - die Ursachen und die Folgen

Pubertät beginnt immer früher - die Ursachen und die Folgen
Übergewicht, Stress und hormonell wirksame Chemikalien beeinflussen die Geschlechtsreife.

Die Probleme der Pubertät sind für fast jede Generation die gleichen. Aber sie werden immer früher erlebt. Aufzeichnungen zeigen, dass Mädchen im Jahr 1860 ihre erste Regel im Schnitt mit 16,6 Jahren hatten. 1920 lag dieses Alter bereits bei 14,6 Jahren. Die aktuellste Zahl (aus dem Jahr 2007) zeigt ein Durchschnittsalter von 12,8 Jahren. Die Daten sind aus Deutschland – für Österreich gibt es leider keine vergleichbaren Statistiken.

Aber auch hierzulande hat sich der Beginn der Pubertät verschoben, sagt Kinderhormonspezialist Stefan Riedl von der MedUni Wien. Bis etwa 1970 seien die Veränderungen deutlich gewesen. „Was sich in den vergangenen zwanzig Jahren weiter verändert hat, ist die Bandbreite. Die Pubertät setzt vor allem bei Mädchen früher ein. Die Brustentwicklung beginnt etwa ein Jahr früher als vor circa zwanzig Jahren“, berichtet Riedl. Buben würden die späteren Pubertätsstadien hingegen später durchleben.

Hormone

Die Pubertät beginnt im Gehirn: Es schüttet Hormone aus, die Eierstöcke bzw. Hoden dazu anregen, vermehrt Sexualhormone zu bilden. Die Geschlechtsorgane wachsen und werden funktionstüchtig.

Wann dies passiert, ist zu einem Teil genetisch bestimmt, zum anderen haben Umweltfaktoren Einfluss – allen voran Übergewicht und Stress. Einlagerungen von Fettgewebe führen zu früherer Reifung, wie Tierversuche zeigen. „Eine besondere Bedeutung kommt der Schwangerschaft und der Zeit nach der Geburt zu. Mangelgeborene Kinder, die nach der Geburt rasch zunehmen, kommen früher in die Pubertät. Eine übermäßige Gewichtszunahme in der späteren Kindheit ist nicht so ursächlich“, erklärt Riedl.

Stress

Der gegenteilige Effekt zeigt sich bei Magersucht: Durch Nährstoffmangel kann es zu einer Pubertätsverzögerung kommen. Bei Stress ist es ähnlich: Früh erlebter Stress begünstigt eine frühe Pubertät. „Der Körper wird sozusagen zum Selbsterhalt auf frühe Reproduktion programmiert. Später Stress führt hingegen zu einer Pubertätsverzögerung“, sagt Hormonspezialist Riedl.

Ein weiterer großer Einflussfaktor sind Chemikalien, die hormonähnlich wirken – sogenannte endokrine Disruptoren. Sie können in das Hormonsystem eingreifen, sogar schon in der Schwangerschaft – ihre Wirkweise ist ähnlich dem weiblichen Sexualhormon Östrogen und kann männliche Sexualhormone hemmen. Das würde die frühere Pubertät bei Mädchen und das spätere Erreichen von finalen Pubertätsstadien bei Buben erklären – auch wenn die Studienlage nicht eindeutig ist.

Bisphenol A

„Am bekanntesten ist Bisphenol A (BPA), weil es eine der meist verwendeten Industriechemikalien ist. Aus Tierversuchen kennt man seine schädliche Wirkung auf die Fortpflanzungsorgane, das Immunsystem, den Stoffwechsel oder die Schilddrüse. BPA wird relativ schnell vom Körper abgebaut, aber nachdem immer wieder etwas dazukommt, bleibt es im Körper“, sagt Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien.

BPA kann beim Menschen u.a. im Harn, im Blut und im Fruchtwasser nachgewiesen werden. Seit den 1950er-Jahren wird es zur Herstellung des Kunststoffs Polycarbonat verwendet und ist in zahlreichen Gebrauchsartikeln enthalten – vom Baby-Schnuller bis zur Plastikflasche. Studien bringen die Chemikalie mit hormonbedingten Krebserkrankungen sowie Fruchtbarkeitsstörungen in Verbindung. Seit Dezember 2017 wird BPA von der EU als besorgniserregend eingeschätzt, in vielen Alltagsprodukten ist es aber nach wie vor enthalten. „Wenn ein Baby in der Schwangerschaft Chemikalien ausgesetzt ist, deren Wirkung sich erst in der Pubertät oder bei späteren Krebserkrankungen zeigt, ist das schwer zu untersuchen“, erklärt Hutter. Er rät dazu, Fremdstoffe jeglicher Art zu minimieren, vor allem in der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren. BPA-freie Produkte seien nicht automatisch eine Alternative, da dann oft andere möglicherweise problematisch Stoffe zum Einsatz kommen.

Folgen

Die frühe Pubertät bleibt nicht ohne Folgen. Betroffene Kinder haben ein höheres Risiko für soziale und emotionale Anpassungsstörungen. Belegt ist ein erhöhtes Depressionsrisiko bei früh pubertierenden Mädchen. Bei  Kindern unter neun Jahren, die nicht gut  damit  umgehen können, kann  die Pubertät mittels vierwöchentlicher Spritze vorübergehend gestoppt werden – solange, bis  es hinsichtlich Wachstum, Alter,  Psyche und weiteren Faktoren für sie passt. Setzt die Pubertät vor dem Alter von acht Jahren ein, hat das ohne Behandlung Folgen für die Erwachsenengröße, da es zu einem früheren Wachstumsstopp kommt.

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