Neues Krankheitsbild: Wenn Kinderzähne plötzlich zerbröseln
Univ.-Prof. Dr. Katrin Bekes MME (Master of Medical Education) ist Leiterin des Fachbereichs Kinderzahnheilkunde der Universitätszahnklinik Wien und Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde.
Was ist das relativ junge Krankheitsbild der „Kreidezähne“, das bei Kindern immer häufiger auftritt?
Katrin Bekes: Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) wurde 1987 erstmals beschrieben. Dabei kommt es zu einer Störung der Bildung des Zahnschmelzes. Die Zähne haben weißlich-cremefarbige bis gelblich-braune Flecken und sind bereits bei ihrem Durchbruch porös und zerbröseln teilweise. Dieses Krankheitsbild tritt bei einem bis zu vier Backenzähnen (Molaren) auf, auch die Frontzähne können betroffen sein. Bei rund 15 Prozent der Kinder stellen wir diese Diagnose.
Welche Ursache hat diese Erkrankung?
Die genauen Ursachen sind bis heute nicht geklärt. Eine Rolle könnten möglicherweise Weichmacher aus Kunststoffen spielen, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Infektionserkrankungen und Antibiotikaeinnahmen in den ersten Lebensjahren werden ebenfalls diskutiert. Einen Zusammenhang mit der Bildung von Karies gibt es nicht. Es ist wichtig, Eltern aufzuklären, dass sie keine „Schuld“ an dieser Erkrankung haben und sie den Symptomen nicht hätten vorbeugen können.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Da die MIH-Zähne eine raue Oberfläche haben und ihre Substanz insgesamt schlechter ist, müssen sie besonders gepflegt werden. Über Zähneputzen hinaus werden in Abhängigkeit von der Schwere des Befalls folgende Maßnahmen empfohlen: Versiegelungen von Fissuren (Fissuren sind Furchen, Grübchen, Rillen und Spalten in den Kauflächen der Backenzähne, die nur schwer gereinigt werden können), Füllungen, Kronen oder eventuell sogar eine Extraktion (Zahnentfernung).
Wie viele Kinder sind von Karies betroffen?
55 Prozent der Sechsjährigen sind heute kariesfrei, damit liegt Österreich im europaweiten Schnitt. In den vergangenen zehn Jahren konnte dieser Anteil zwar um zehn Prozent gesteigert werden, das Ziel der Weltgesundheitsorganisation – 80 Prozent der Sechsjährigen kariesfrei bis 2020 – wird österreichweit aber nicht erreicht werden. Frühkindliche Karies ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindesalter, viel häufiger als Asthma oder Heuschnupfen.
Fehlt es an Bewusstsein der Eltern?
Einerseits ist es eine Frage des sozialen Hintergrunds der Eltern und der Bildung. Andererseits wissen viele Eltern auch nicht, dass man mit dem Säubern der Zähne bereits beginnen sollte, wenn der erste Zahn schon durchgebrochen ist. Vielfach besteht auch noch die Meinung, die Milchzähne seien nicht so wichtig. Das ist aber falsch: Milchzähne haben die Funktion, Platz zu halten für die nachfolgenden Zähne. Gehen sie frühzeitig verloren, wandern die anderen Zähne auf und für die nachkommenden ist kein Platz.
Kommentare