Wieso der Körper in der Höhe mehr rote Blutkörperchen produziert

Bei der Patientin war die Bildung des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin gestört – jetzt sind ihre Werte normal.
Ein Experte der MedUni Wien erklärt die große Bedeutung der Forschungen der Medizin-Nobelpreisträger für neue Therapien gegen Blutarmut und Krebs.

"Die Forschungen der drei heurigen Medizin-Nobelpreisträger haben grundlegende Mechanismen entschlüsselt, wie Zellen auf Sauerstoffmangel reagieren", sagt Michael Jantsch. Er leitet das Zentrum für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Universität Wien.

KURIER: Was haben die drei Nobelpreisträger genau entdeckt?

Michael Jantsch: Praktisch alle unsere Zellen brauchen Sauerstoff für die Energiewervertung, also um Zucker in Energie umzuwandeln. Damit der Sauerstoff in die Zellen kommt, benötigen wir rote Blutkörperchen, an die der Sauerstoff bindet, und Blutgefäße, die die roten Blutkörperchen im Körper verteilen. In der Regelung dieser zwei Prozesse - der Bildung von roten Blutkörperchen und von Blutgefäßen - setzen die Mechanismen an, für deren Entschlüsselung die drei Wissenschafter den neurigen Medizin-Nobelpreis bekommen haben.

Was haben sie da konkret herausgefunden?

Bekannt war, dass das Hormon Erythropoetin (EPO) bei Sauerstoffmangel die Bildung von roten Blutkörperchen fördert. Gregg Semenza entdeckte einen Faktor (HIF-1 alpha), quasi einen Schalter, dessen Konzentration ansteigt, wenn Sauerstoffmangel in den Zellen herrscht. Und dieser Schalter schaltet jene Gene an, die zu einer verstärkten Produktion von EPO führen - also zum Beispiel dann, wenn man sich in großen Höhen befindet. Und er schaltet auch die Gene an, die für einen Wachstumsfaktor zuständig sind, der die Bildung von neuen Blutgefäßen aktiviert.

Und wie wird dieser Schalter abgeschalten?

Das hat William Kaelin herausgefunden, und zwar anhand einer seltenen Erkrankung, welche zu gehäuften Tumoren führt, dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom. Bei diesem Tumor werden zu viele Blutgefäße gebildet, ist der Schalter also immer angeschalten.  Das defekte Von-Hippel-Lindau-Protein kann den Schalter (HIF-1alpha) nicht mehr ausschalten.

Und Peter Ratcliffe konnte den Zusammenhang der beiden Faktoren - also Ein- und Ausschalter für die Bildung von EPO und Blutgefäßen - nachweisen.

Welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse?

Sie könnten zu neuen Therapien gegen Anämie, Blutarmut, führen. Es gibt Menschen, die zu wenig EPO in den Nieren produzieren. Wenn man den Mechanismus kennt, der die EPO-Produktion ankurbelt,  kann man entsprechende Wirkstoffe entwickeln. Ein zweiter Ansatzpunkt sind Krebserkrankungen: Ein schnell wachsender Tumor führt zu Sauerstoffarmut in den Zellen - deshalb regt der Tumor über den HIF-Mechanismus die Bildung neuer Blutgefäße an. Unterbindet man aber diesen Mechanismus, könnte das Wachstum von Blutgefäßen für die Tumorversorgung gebremst werden.

Wie weit sind derartige Entwicklungen?

2016 haben die drei Forscher den Lasker-Preis erhalten, quasi der US-Nobelpreis. Schon damals gab es vielversprechende Fortschritte in der Entwicklung neuer Therapien. Ich halte das auch für einen vielversprechenden Ansatz neuer Therapien sowohl gegen Blutarmut als auch gegen Krebs. Der Nobelpreis für die drei Forscher ist jedenfalls hoch verdient - und er zeigt die enorme Bedeutung von Grundlagenforschung. Letztlich ist sie die Basis neuer Therapien und Anwendungen am Patienten.

 

 

 

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