Lichttherapie als Heilmittel gegen Winterdepression
Nach einem wie in diesem Jahr wunderschönen, warmen Frühherbst kommt meist mit Anfang November die Zeit der grauen, nebligen Tage. Unser persönliches Wohlbefinden ist stark abhängig von täglicher und regelmäßiger Aufnahme von Tageslicht.
Waren wir an klaren Sommertagen im Freien noch von einer Beleuchtungsstärke von bis zu 100.000 Lux verwöhnt – selbst bei bedecktem Himmel kamen wir noch auf 20.000 Lux –, so sinkt diese an einem trüben Wintertag auf 3500 Lux. Kein Wunder also, dass sich ein derartiger Lichtmangel auf das Gemüt schlägt. Im schlimmsten Fall kann es sogar zu einer Herbst-Winter-Depression (saisonale affektive Störung, SAD) kommen.
„Die wichtigste Frage, um eine Herbst-Winter-Depression zu diagnostizieren, ist die, ob die Patienten im Sommer auch wirklich beschwerdefrei sind. Das heißt, ob sie im Sommer keine Depression haben und diese erst quasi schlagartig einsetzt, wenn es im Herbst dunkler wird“, erklärt Prof. Edda Winkler-Pjrek, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin sowie Leiterin der Ambulanz für Herbst- und Winterdepressionen im AKH-Wien. „Wenn sich die Depression dann im März oder Anfang April, wenn’s wieder heller ist und die Tage länger werden, auch bessert – und das in zumindest zwei aufeinanderfolgenden Saisonen so ist –, dann erst kann man von einer Herbst-Winter-Depression sprechen.“
Wobei diese eine auch im Schweregrad ernst zu nehmende Depression sei. „Es gibt ja im Diagnose-Manual keine Herbst-Winter-Depression. Diese würde unter eine rezidivierende, depressive Störung fallen. Es gibt leichte, mittlere und schwere Formen“, sagt Prof. Winkler-Pjrek. So können auch Herbst-Winter-Depressionen durchaus ganz schwere Ausprägungen haben.
Tag-Nacht-Rhythmus
Doch zurück zum Lichtmangel. Wie hängt dieser nun mit der Depression zusammen? Durch das fehlende Tageslicht verschiebt sich der Tag-Nacht-Rhythmus (Zirkadianrhythmus). Es kommt zu einem hormonellen Ungleichgewicht, das mit Müdigkeit und depressiven Verstimmungen einhergeht. „Also einerseits wirkt sich der Lichtmangel so aus, dass sich der Serotonin-Haushalt (die serotonerge Neurotransmission) verändert“, sagt die Psychiaterin. „Andererseits spielt das Hormon Melatonin eine Rolle, das mit dem Serotonin zusammenarbeitet und vor allem den Schlaf-Wach-Rhythmus synchronisiert. Das Melatonin wird normalerweise am Abend ausgeschüttet.“
Wenn man nun das Melatonin im Blut an verschiedenen Uhrzeiten über den Tag verteilt misst, sehe man, dass Gesunde untertags einen geringen Melatoninspiegel haben. Am Abend vor dem Schlafengehen kommt es zu einem raschen Anstieg, der bewirkt, dass die Leute müde werden. „Bei Herbst-Winter-Depressions-Patienten allerdings sieht man, dass diese den ganzen Tag über einen zu hohen Melatoninspiegel haben, viel höher als die Gesunden. Das heißt, sie sind den ganzen Tag müde und antriebslos und am Abend steigt der Spiegel nur noch wenig an, weil er den ganzen Tag schon hoch ist. Das führt wiederum dazu, dass die Patienten in der Nacht schlecht und sehr unruhig schlafen“, sagt Prof. Winkler-Pjrek.
So geht Lichttherapie
Bei der Behandlung der Herbst-Winter-Depression gilt es nun, das fehlende Licht zu ersetzen. Und hier kommt die Lichttherapie ins Spiel. „Das Licht gelangt von der Netzhaut über den Tractus retinohypothalamicus (eine Nervenbahn) zum Zwischenhirn, sodass von dort die Melatoninproduktion in der Zirbeldrüse synchronisiert wird (siehe Grafik). Das heißt, Licht in der Früh bewirkt, dass der Melatoninspiegel untertags gesenkt wird“, erklärt Prof. Winkler-Pjrek.
Daher soll die Lichttherapie idealerweise in der Früh oder am Vormittag angewendet werden. Laut Studienergebnissen am wirksamsten sind Lichtlampen mit einer Lichtintensität von 10.000 Lux. Diese werden mittlerweile von verschiedenen Herstellern angeboten. Man sollte eine halbe bis ganze Stunde in einer Entfernung von etwa 50 bis 80 cm – je nach Gerät – vor der Lampe sitzen und immer wieder auch direkt ins Licht schauen.
„Medizinische Lichtlampen senden weißes Licht aus, wo das gesamte Spektrum drinnen ist, und sind für die Netzhaut völlig unbedenklich“, sagt Prof. Winkler-Pjrek. „Wir arbeiten auch mit Augenärzten zusammen, die empfehlen lediglich eine Voruntersuchung, wenn jemand schon einen Netzhautschaden hat.“
Wirkt schon nach Tagen
An der Herbst-Winter-Depressionsambulanz im AKH werden diese Lampen für einen kurzen Zeitraum auch an die Patienten verborgt, um zu testen, ob sie auf die Lichttherapie „anspringen“. „Wenn Lichttherapie wirkt, dann merkt man das schon nach etwa vier Tagen. Wir empfehlen den Leuten dann, sich selber eine Lichtlampe zu kaufen.“ Dies sei deshalb notwendig, weil man eine Lichttherapie möglichst durchgehend von November bis März machen sollte. „Es wirkt wirklich sehr schnell im Vergleich zu einem Antidepressivum. Auch moderne Präparate brauchen ungefähr zwei Wochen, bis sie ihre Wirkung entfalten.
Lichttherapie sollte, genauso wie antidepressive Medikation, regelmäßig die ganze Herbst-/Wintersaison angewendet werden. Die Wirkung lässt leider nach, wenn man ein paar Tage pausiert.“
50 Prozent Heilungsquote.
Die Wirkung der Lichttherapie ist wissenschaftlich unbestritten. Das bestätigt auch Prof. Edda Winkler-Pjrek aus ihrer medizinischen Praxis. „Wir haben untersucht, wie viele der Herbst-Winter-Depressions-Patienten mit Lichttherapie alleine auskommen. Das war rund die Hälfte. Die anderen brauchen zusätzlich Medikamente oder eben nur Medikamente.“
Kann die Lichttherapie eigentlich auch prophylaktisch eingesetzt werden? „Naja, das fragen mich auch die Patienten. Sagen wir so, schaden kann eine Lichttherapie in keinem Fall anrichten. Bei rezidivierenden Depressionen, ob saisonal oder nicht, verstärken sich die Beschwerden von Mal zu Mal. Je öfter es also zu depressiven Episoden kommt, desto schwerer werden sie und umso schwieriger sind sie dann auch behandelbar. Es schadet dem Körper, wenn es immer wieder zu Depressionen kommt.“ Der Körper habe eine Art Krankheitsgedächtnis.
Möglicherweise lasse sich in einigen Fällen mit einer frühzeitig im Herbst beginnenden Lichttherapie sogar verhindern, dass die Herbst-Winter-Depression in dieser Saison überhaupt ausbricht. „Studien haben gezeigt, dass selbst bei Patienten, die fünf Jahre lang an einer Herbst-Winter-Depression gelitten haben, diese plötzlich in den darauffolgenden Jahren nicht mehr auftritt. Dass die Herbst-Winter-Depression eine Erkrankung ist, von der man meistens nicht das ganze Leben lang betroffen ist, lässt sich auch daran erkennen, dass wir in unserer Ambulanz nur sehr wenige junge Patienten und wenige über 65-Jährige haben.“
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Raus ins Freie
Generell rät die Expertin, sich auch im Herbst und im Winter möglichst viel im Freien aufzuhalten. „Auch wenn’s nebelig und grau ist, trotzdem raus an die Luft. Weil draußen herrschen trotz allem sehr hohe Lichtintensitäten, weit mehr als man denkt. Das kann man mit Licht im Innenraum nicht vergleichen.“ Wo wir wieder bei den anfangs erwähnten 3500 Lux sind, die selbst ein grauer Wintertag „leuchtet“. Zum Vergleich: Im Wohnzimmer ist es ca. 50-100 Lux hell, am Arbeitsplatz auch nur bis zu 500 Lux.
Licht übers Ohr
Alternativen zur Lichttherapie, die ähnlich gute Erfolge zeigen, gibt es noch nicht. Eine interessante neue Richtung ist die transkranielle Lichttherapie, also Licht übers Ohr. Prof. Winkler-Pjrek steht diesem Ansatz jedoch skeptisch gegenüber. „Ich würde es meinen Patienten nicht empfehlen, weil es noch zu wenige aussagekräftige Studien dazu gibt."
Allerdings würden Nahrungsergänzungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren durchaus antidepressive Effekte zeigen. Und aus der Sicht der Psychiaterin auch die Beibehaltung der Sommerzeit, da so Bewegung im Freien auch nach der Arbeit noch bei Helligkeit möglich wäre.
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