Angelman Syndrom: "Fluch und Segen zugleich"

Angelman Syndrom: "Fluch und Segen zugleich"
Heute ist der Internationale Angelman-Tag. Die seltene Krankheit stellt Eltern vor große Herausforderungen. Ein Einblick.

Auf den ersten Blick wirken Yannick und Max wie alle anderen Kinder. Doch die beiden leben mit dem sogenannten Angelman-Syndrom: eine seltene genetische Krankheit, in Österreich gibt es nur etwa 50 Betroffene. Schon früh zeigt sie sich durch geistige und motorische Entwicklungsverzögerungen. Vielfach wenden sich die Eltern bereits mit einem dementsprechenden Verdacht an ihren Kinderarzt oder an ihre Kinderärztin, da sie sich aufgrund bestimmter typischer Auffälligkeiten bereits im Vorfeld informiert haben, um eine Erklärung für Besonderheiten ihres Kindes zu finden. So war es auch bei Pia Schlögl und Yvonne Otzelberger. Zwei Mütter mit völlig unterschiedlicher Lebensgeschichte und doch eint sie sehr viel – die unheilbare Krankheit ihrer Söhne. Und die hat das Leben der beiden Familien komplett auf den Kopf gestellt.

maxschloegl.jpg

Pia Schlögl mit Sohn Max (4).

„Das Stillen bereitete Probleme, Max fing erst sehr spät an zu krabbeln und sein Kopf blieb unverhältnismäßig klein“, erinnert sich Pia Schlögl, die aus einer Ärztefamilie stammt. Ihr Vater und die Schwägerin motivierten sie dazu, der Ursache für die Auffälligkeiten auf den Grund zu gehen. „Mit 14 Monaten wandten wir uns also an eine Entwicklungsambulanz. Nachdem man dort nicht fündig wurde, entschlossen wir uns für einen Gentest. Insgeheim wussten wir da schon, welche Nachricht uns erwarten wird, wollten es noch nicht richtig wahrhaben.“ Die Diagnose machte die Vermutung zur traurigen Gewissheit. Doch gleichzeitig bedeutete sie eine Erleichterung. „Vorher dachte ich lange, ich mache etwas falsch. Dann wusste ich, das war ein Schwachsinn“, sagt die 35-jährige AHS-Lehrerin heute.

Angelman Syndrom: "Fluch und Segen zugleich"

Yannick (9)

Ähnlich erging es Yvonne Otzelberger: „Von Beginn an habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Da ich bereits eine gesunde Tochter hatte, fiel mir der Unterschied in der Entwicklung sofort auf. Die Ärzte haben uns versucht zu beruhigen, sie meinten, das wir schon noch“, erzählt sie. Die Wienerin ging der Sache selbst auf den Grund und wandte sich ans AKH. „Nach einer genetischen Analyse, erhielten wir die Diagnose. Da war Yannick neun Monate alt“, erzählt Otzelberger, die in der Patientenadministration im St. Anna Kinderspital tätig ist. Für die 33-Jährige und ihre Familie blieb für kurze Zeit die Welt stehen. „Ich wusste zumindest, ich kann nichts dafür. Diese Krankheit ist eine Laune der Natur. Und ich tue mir immer leichter, wenn ich mich auf etwas einstellen kann.“

Das Angelman-Syndrom ist die Folge einer seltenen Genbesonderheit auf Chromosom 15, die unter anderem mit Entwicklungsverzögerungen, Epilepsie, kognitiver Behinderung, Hyperaktivität und einer stark reduzierten Lautsprachentwicklung einhergeht. Der britische Kinderarzt Harry Angelman beschrieb im Jahr 1965 das später nach ihm benannte Syndrom erstmals unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Er nannte es aufgrund des auffälligen Bewegungsmusters und des häufigen Lachens der Kinder, die er damals betreute, Happy-Puppet-Syndrom. Sowohl Buben als auch Mädchen können mit dem Angelman-Syndrom geboren werden. Die Besonderheit tritt mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von 1 zu 15.000 bis 1 zu 20.000 auf, wobei davon auszugehen ist, dass das Angelman-Syndrom vielfach nicht als solches diagnostiziert wird, sondern beispielsweise als Autismus.

Vergangenen Sommer machte Maximilian seine ersten, zaghaften Schritte, verrät seine Großmutter Susanne Radda. „Im Urlaub in Lignano ließ er plötzlich meine Hand los und machte die ersten selbstständigen Schritte. Wir hatten alle Gänsehaut.“ Ein Meilenstein – doch das Laufenlernen wird für ihn eine Lebensaufgabe sein. „Man muss realistisch sein. Max wird nie ganz selbstständig leben können.“ Sehrwohl aber selbstbestimmt. Trotz des Unvermögens, regelgerechtes Sprechen zu lernen, sind Menschen mit dem Angelman-Syndrom meist fähig, einfache gehaltene Gebärden und Bilder zur Kommunikation zu verwenden. Maximilian kann sich immer besser durch sein Tablet verständigen. „Wir üben auch die Gebärdensprache mit ihm. Aber das funktioniert noch nicht so gut. Mittlerweile verwendet sie sein kleiner Bruder, Florian, auch schon“, sagt Pia Schlögl und muss dabei lachen.

Die Großmutter bezeichnet ihre Tochter als eine „Heldin“, denn trotz aller Erfolge, bleibt die Pflege eines Kindes mit Angelman-Syndrom eine Herausforderung. „Man kann ihn keine fünf Sekunden alleine lassen. Er nützt jede Gelegenheit, um Blödsinn anzustellen. Kürzlich hat er eine ganze Flasche Putzmittel ausgeleert und schön am Boden verteilt“, schildert seine Mutter. „Wenn ich ihn alleine beim Essen lasse, stopft er sich entweder alles auf einmal in den Mund oder verteilt es am Tisch oder Boden. Er macht das, worauf er Lust hat ohne Berücksichtigung gesellschaftlicher Konventionen. Wenn ich Einkäufe stehen lasse, räumt er alles aus, reißt die Packungen auf, beißt rein, wo es geht.“

maxschloegl3.jpg

Max mit Vater Michael Schlögl.

Hyperaktivität ist ein auffälliges Merkmal des Syndroms und insbesondere im Kindesalter sind zum Teil extreme Schlafstörungen häufig. Sie werden durch einen Hormonmangel verursacht und sind nicht pädagogisch zu regulieren. Der Schlafmangel überträgt sich auch auf die Eltern und kostet enorm viel Energie. „Wir haben in den vergangenen Jahren viele schlaflose Nächte durchgemacht. Mittlerweile bekommt Yannick leichte Schlafmedikamente, weil es so nicht weitergehen kann. Er braucht den Schlaf ja, aber sein Körper lässt es nicht zu“, schildert Yvonne Otzelberger.

Menschen mit Angelman-Syndrom fallen oft auch durch eine intensive Suche nach Körperkontakt auf. Sie sind häufig sehr sozial, in der Grundhaltung freundlich und sie lachen sehr viel, wenngleich oft objektiv grundlos und oft bei Aufregung. „Bei Überforderung fängt Yannick an zu lachen. Er kann kaum weinen und auch nicht sagen, wenn ihm etwas zu viel wird. Er lacht dann so sehr, dass er kaum noch Luft bekommt“, schildert Otzelberger. „Lachen ist Fluch und Segen zu gleich. Wenn zum Beispiel jemand mit ihm spielen möchte, freut er sich so sehr, dass ihm die Aufregung gleichzeitig schon wieder zu viel ist.“

In dem von ihr gegründeten Selbsthilfeverein für Betroffene können sich Familien austauschen und erhalten fachliche Informationen (mehr dazu finden Sie auf der Homepage). Auch wenn es diesen Verein mittlerweile seit sieben Jahren gibt, so sind die betroffenen Familien immer noch sehr oft auf sich alleine gestellt. Deshalb sei es gut, so Otzelberger, dass es einen internationalen Angelman-Tag gibt: Jedes Jahr am 15. Februar wird so auf diese Krankheit aufmerksam gemacht.

Dieser Artikel ist im KURIER-Magazin Medico erschienen.

 

Kommentare