Uni-Rektor: „Haben echtes Qualitätsproblem im Gesundheitssystem“

MedUni-Rektor Müller über die Gründe, warum so viele Jungärzte Österreich verlassen

Markus Müller zeigt Strategien gegen die Versorgungsengpässe auf.

KURIER: Laut OECD hat Österreich eine sehr hohe Ärztedichte. Die Ärztekammer warnt hingegen vor einem Ärztemangel. Wer hat recht?

Markus Müller: Ich bin ein gebranntes Kind, weil ich aus einer Generation komme, in der vor einer Ärzteschwemme gewarnt wurde. Es hieß, dass wir als Uni-Absolventen als Taxifahrer arbeiten werden. Mitte der 2000er-Jahre war dann schlagartig vom Ärztemangel die Rede. Laut nackten Zahlen sind wir aber sicher nicht unterversorgt.

Gibt es ein Verteilungsproblem?

Sowohl zwischen dem Spitals- und den niedergelassenen Bereich als auch zwischen ländlichen und städtischen Bereich. Auch in einzelnen Fächern gibt es Defizite. Allen voran in der Allgemeinmedizin, aber auch in vorklinischen Fächern wie Anatomie und Physiologie.

2017 brachten die heimischen MedUnis rund 1600 Absolventen hervor. Ist das genug?

Im internationalen Vergleich schon. Was aber auffällt: Ein Drittel unser Absolventen bleibt nicht in Österreich. Wir sind nicht einmal in der Lage, die österreichischen Absolventen im Land zu halten. Schon gar nicht schaffen wir es, aus dem EU-Raum einen Netto-Zuwachs an Ärzten zu kreieren. Das ist ein echtes Qualitätsproblem unseres Gesundheitssystems.

In Deutschland vergeben Spitäler Stipendien, um Jungärzte länger an sich zu binden. Wäre das ein Vorbild?

Für die Gesundheitsversorgung sind in erster Linie die Bundesländer verantwortlich. Sie waren es gewohnt, Ärzte im Überfluss zu haben. Aus der Sicht der Länder war es historisch oft ein Akt der Gnade, Jungmedizinern einen Turnusplatz zur Verfügung zu stellen. Andere Länder hatten hier immer schon einen anderen Zugang und werben auch jetzt intensiv um unsere Ärzte. Hier müssten sich die Bundesländer aktiver um die Rekrutierung von Medizinern kümmern.

Sollte man die Aufnahmetests für das Studium wieder abschaffen?

Damit fielen wir wieder in die 90er-Jahre zurück, als jeder Medizin studieren konnte und wir eine Massenuniversität waren. Jetzt hingegen haben wir die am besten ausgebildete Absolventen-Generation, die es jemals in Österreich gab. Das Studium ist durch den Kleingruppenunterricht und die frühe Integration in die klinische Routine deutlich besser geworden. Auch die Absolventenquote ist von unter 50 auf rund 95 Prozent gestiegen.

Wie kann man aber den Versorgungslücken entgegenwirken?

Zunächst braucht es eine viel stärkere Differenzierung der Spitalsstandorte. Auch bei der Prävention muss man intensiver ansetzen. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Teilapprobation der jungen Mediziner, die durch das klinisch-praktische Jahr am Ende ihres Studiums schon sehr gut ausgebildet sind. Sie könnten dann gewisse Dinge schon selbstständig machen. Ein wichtiges Thema wird auch die Digitalisierung – etwa Skype-Visiten – sein, mit der Ärzte zeitlich freigespielt werden können.

Wie lässt sich in der Allgemeinmedizin die Lage verbessern?

Hier gibt es ein Nadelöhr: In Wien etwa gibt es nur 50 Lehrpraxen. Wobei die Bezahlung erst im Vorjahr gelöst wurde. Dabei weiß man schon seit vielen Jahren, dass wir auf einen Allgemeinmediziner-Mangel zusteuern.

Immer mehr junge Menschen studieren auf einer privaten MedUni. Können sie bei der Qualität der Ausbildung mit den öffentlichen schritthalten?

Es gibt derzeit einen historischen Bruch in der Ausbildungsstrategie, indem man glaubt, Ärzte forschungsfrei ausbilden zu können. Lehrende, die an der Front der Forschung stehen, können aber Studenten besonders gut ausbilden. Das ist das internationale Erfolgsmodell der Universitäten. Dieser Weg wurde in Österreich verlassen. Vor dem Hintergrund der Zugangsbeschränkungen wird hier ein Ausweg angeboten, der auch ein Geschäftsmodell ist. Einen Gesamtplan für die Standorte der Privatunis sehe ich nicht.

Würde es nicht schon reichen, Ärzte von ihren administrativen Aufgaben zu befreien, damit sie mehr Zeit für die Patienten haben?

Absolut. Dieses Problem hängt auch mit dem Mangel an Pflegepersonal zusammen. Aktuell geht die Diskussion an manchen Standorten sogar noch weiter: Man könnte auch nichtärztliches Personal anlernen, gewisse Tätigkeiten zu übernehmen. Etwa die Verabreichung einer Routine-Narkose, um ein Extrembeispiel zu nennen. Das kann man praktisch lernen, dazu muss man nicht Medizin studiert haben.

 

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