Zwei Weinexoten auf 1100 Metern
Der Blick geht über steile Wiesen hinunter ins Inntal. Auf den Hängen hinter dem Bauernhaus in Pillberg stehen reihenweise Obstbäume. Doch auch in den Wäldern ringsum fahren Dieter Kurz (48) und Ronald Knabl (49) reiche Ernten ein. Hier haben sie heuer auf allen Vieren Schwarzbeeren für eines ihrer Aushängeschilder gesammelt: einen im Barrique-Fass ausgebauten Moosbeerwein.
Weder auf den ersten Blick noch beim ersten Schluck erkennt der Laie, dass hier kein aus Trauben gewonnener Wein durch den Gaumen gleitet. Der Gedanke an Omas zuckersüßen Ribiselwein, der vor der Verkostung durch den Kopf geisterte, ist vertrieben. Mit den Produzenten von "echtem" Wein sehen sich die beiden Schwazer nicht in Konkurrenz. "Das ist kein Kampf. Bei beidem geht es um Obstverarbeitung", sagt Kurz.
Keltern statt brennen
Nur, dass die beiden Tiroler ihre Tropfen eben aus Moos-, Erd- und Vogelbeeren, Kirschen oder Zwetschken herstellen. Und das auf 1100 Metern. Vor einem Jahr haben die Obstweinbauern auf dem Kellerjoch, dem Hausberg ihrer Heimatstadt Schwaz, eine Landwirtschaft von einem Schnapsbrenner übernommen. Das Fabrizieren von edlen Bränden aus Obst wird in Tirol mit großer Leidenschaft betrieben. Doch Kurz und Knabl sind über die Liebe zum Wein zum Obst gekommen. Mit ihren Fruchtweinen sind sie Exoten in den Tiroler Bergen. "Wir wollten gemeinsam ein Naturprodukt herstellen und haben uns dann auf Fruchtwein spezialisiert", erzählt Kurz.
Vor vier Jahren sind die beiden Freunde dafür unten im Tal zu Laborratten geworden. In großen Gläsern haben die beiden Gärverläufe von verschiedenen Früchten getestet und dokumentiert.Das Handwerkszeug haben sie sich von der Presse bis zur Filtermaschine im Osten Österreichs besorgt, wo die Weinherstellung im Gegensatz zu Tirol Tradition hat.
Heute reicht die Farbpalette ihrer Weine von rot über rosé bis weiß. "Wir können in Richtung halbtrocken oder trocken gehen", erklärt Knabl. Grenzen werden der Experimentierfreudigkeit durch das Obstweingesetz gesetzt, das etwa den Alkoholgehalt auf rund 13 Prozent festlegt und auch die Menge an Zucker regelt, die den Weinen zugesetzt werden darf. "Wir müssen auch mit Wasser arbeiten. Kirschwein wäre sonst zum Beispiel wegen der vielen Säure nicht trinkbar", erklärt Knabl.
Über mangelnde Nachfrage können sich die beiden Freunde nicht beklagen. 1600 Liter Obstwein haben sie heuer produziert. Praktisch alle Flaschen sind reserviert. Hotels, Gastronomiebetriebe und Private gehören zu den Kunden. Für Kurz und Knabl ist ihr Fruchtweinhof bislang ein Hobby, von dem sie nur erwarten, dass es sie nichts kostet. Ihre Jobs wollen sie nicht an den Nagel hängen. Knabl arbeitet in einem Autohaus, Kurz als Haustechniker. Die Freizeit gehört dem Wein. Und das praktisch das ganze Jahr über. Von den Erdbeeren im Frühjahr bis zu den Vogelbeeren im Herbst gibt es für die vinophilen Schwazer immer etwas Fruchtiges zu ernten. Die Reifung der Weine, die zwischen sechs und zwölf Monate dauert, will auch begleitet sein.
Holunder-Schampus
Kurz hat sich sogar Arbeit mit nach Hause genommen. Dort schüttelt er jeden Tag an einem Brett, in dem eine ganze Batterie von Flaschen steckt. "Wir stellen einen Schaumwein nach der Champagner-Methode her", erklärt der 48-Jährige. Der Wein besteht freilich nicht aus Traubensaft. Eine Maische aus Holunderblüten ist die Basis.
Als Spinner musste sich Peter Zoller vor einem Jahrzehnt noch bezeichnen lassen, weil er sich im Tiroler Oberland am Weinbau versuchen wollte. Heute ist er stolzer Besitzer von mehr als 6000 Reben verschiedenster Traubensorten und Obmann des 2011 gegründeten Tiroler Weinbauverbands. "Mit elf Leuten haben wir angefangen. Heute hat der Verband 50 Mitglieder und ist weiter am Wachsen", berichtet Zoller. Fruchtweinbauern (siehe Bericht links) gehören keine zum Weinbauverband. "Aber ich begrüße jedes Interesse an Wein", versichert Zoller.
Dass der klassische Weinbau in Nordtirol nach einer rund 150-jährigen Pause wieder eine Renaissance feiern kann, ist der Erderwärmung zu verdanken. "Und wenn der Klimawandel so weitergeht, dann wird es in 20 bis 30 Jahren noch ganz anders bei uns ausschauen", ist der Experte überzeugt.
Während hinter der italienischen Grenze in Südtirol die Trauben üppig über die Hänge wachsen, war es auf der nördlichen Seite des Brenners lange zu kalt für den Weinbau. "Heute gibt es Sorten, die bei uns auf bis zu 800 Meter angebaut werden können", erklärt Zoller. Dennoch ist das Klima ein raueres als etwa in den Weinregionen Ostösterreichs. Das hat aber auch Vorteile: "Wir haben zwischen Tag und Nacht Temperaturunterschiede von 15 bis 20 Grad. Dadurch entwickeln sich mehr Aromastoffe in den Beeren", sagt der Weinbau-Pionier aus Haiming, wo er auch seine Weingärten betreibt.
Die heurige Lese steht noch aus. Aber Zoller ist bereits zufrieden. Und das trotz eines miserablen Sommers. "Der Herbst hat alles wieder wettgemacht. Dank vier warmer Wochen haben wir super Zuckerwerte", freut sich der Winzer aus Leidenschaft. Und den Ertrag hält er im Sinne der Qualität ohnehin gering. Jeder Rebstock darf maximal ein Kilogramm Trauben tragen, der Rest wird ausgeschnitten.
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