Raw Wines: Antiautoritäre Weine

Raw Wines: Antiautoritäre Weine
Winzer wollten lange besonders klare und feine Weine herstellen. Seit einigen Jahren ist trüber, natürlicher Wein im Trend

Früher hätte man solchen Wein wahrscheinlich als fehlerhaft zurückgeschickt: trüb, etwas oxidiert, von fast schon hantiger Gerbstoffigkeit. Heute nicht mehr unbedingt, denn heute könnte es sich um einen der neuen, kultigen "Raw Wines" handeln, jene Getränke, bei deren Herstellung die Winzer auf ziemlich alles verzichten, was früher als obligatorisch galt: adrett gepflegte und vorsorglich gespritzte Weingärten, kontrollierte Vergärung, Schutz vor Oxidation und brillierende Fruchtigkeit über alles. Bei diesen "rohen" Weinen ist das anders. Da geht es den Winzern in erster Linie darum, den Wein als Ausdruck eines speziellen Fleckchens Boden zu sehen, als Sinnbild der Harmonie zwischen Natur und Mensch.

Klingt esoterisch, aber wenn man einen Schluck eines gelungenen Beispiels verkostet (und es gibt nicht nur gelungene), merkt man, dass da mehr los ist als bei gutem, fruchtigem Grünen Veltliner & Co: Diese Weine schmecken wirklich nach Boden, Stein und Salz, sind lebendiger, entwickeln sich nicht nur im Glas dramatisch, sondern auch im Mund – Getränke, die im Idealfall eine Geschichte erzählen können.

Pionier dieser Philosophie war Nicolas Joly, ein ehemaliger Banker, der Ende der 1970er-Jahre das Familien-Weingut an der Loire übernahm und beschloss, auf Modernität zu verzichten und die Weingärten nach biodynamischen Richtlinien Rudolf Steiners zu bewirtschaften.

Seit einigen Jahren kommt diese Philosophie bei heimischenTop-Winzern an und äußert sich unterschiedlich: Werner Michlits etwa lässt die Rebstöcke für seinen Grauburgunder "Graupert" verwildern, Sepp Muster und Ewald Tscheppe (Weingut Werlitsch) aus Leutschach greifen in die Biologie des Weingartens so wenig wie möglich ein. Auch im Keller überlassen sie ihre Top-Weine mehr oder weniger sich selbst.Gottfried Lamprecht aus Markt Harmannsdorf geht ähnlich vor: Um einer Rebsorte nicht den aromatischen Vortritt zu lassen, setzte er nach alter Tradition wieder Gemischten Satz aus.

Alte Methoden

Raw Wines: Antiautoritäre Weine

Die Ansätze sind vielfältig: spontane Vergärung, nicht gesteuert durch Reinzuchthefen, die den Wein in ein geschmackliches Korsett pressen; lange Maischestandzeiten auch bei Weißwein, um die Gerbstoffe aus den Traubenschalen auszulaugen; möglichst geringer oder gar kein Schwefel-Einsatz, Stabilität durch lange Reifung.

Und dann natürlich die Amphore: Josko Gravner hatte 2001 begonnen, Wein so zu machen, wie man es vor 7000 Jahren in Georgien tat – Trauben in riesige, eingegrabene Ton-Amphoren schmeißen und warten, bis daraus Wein geworden ist. 2005 probierte es Sepp Muster und mittlerweile eine stattliche Gemeinde; auch Bernhard Ott aus Feuersbrunn, dessen Grüner Veltliner "Qvevre" einer der besten Weine dieser Kategorie ist. Weine, die man sich nicht zur Brettljause gönnt, sie sind eher was zum Philosophieren. Aber auch dafür wird Wein ja gemacht. Lesen Sie morgen: Guter Service in der Haubenküche

 

 

Im Interview: Eveline Eselböck

Raw Wines: Antiautoritäre Weine

Das Gourmet-Restaurant Taubenkobel bietet eine "spezielle" Weinbegleitung mit ausschließlich "orangen Weinen" an. Eveline Eselböck verrät, wie das ankommt.

KURIER: Wie reagieren Ihre Gäste, wenn Sie ihnen Weine anbieten, die früher noch als fehlerhaft galten?

Eveline Eselböck: Ich habe unlängst ein Kompliment bekommen – einer unserer Gäste bedankte sich dafür, dass ich ihm mit unserer Weinbegleitung eine neue Wein-Welt geöffnet habe. Die Menschen sind wahnsinnig neugierig, sehnen sich nach neuem Geschmack. Es hat mich ehrlich überrascht, wie gut das bei den Leuten ankommt, die flippen richtig aus, das hat sicher auch mit einem neuen Qualitätsbewusstsein zu tun.

Wie viele solcher Weine führen Sie im Programm?

Derzeit sind es zwischen neunzig und hundert Positionen aus aller Welt, von Korsika über Kroatien bis Kalifornien.

Wie viele aus Österreich?

Etwa fünf Prozent davon, einstweilen sind die halt noch aneiner Hand abzuzählen.

Was reizt Sie als Sommeli­ère an diesen mitunter ungestümen und nicht unbedingt leicht zu kombinierenden "rohen" Weinen?

Es sind Weine, die eine Geschichte erzählen. Und man unterhält sich mit den Gästen über solche Weine ganz anders. Da zählen dann nicht mehr nur Jahrgang, Sorte, Alkohol und Säure, da spielen Dinge wie Tradition, Region, Philosophie und Mensch eine Rolle.

Wie viele Gäste wählen die "orange" Weinbegleitung?

Die Weinbegleitung Nr. 2, wie sie bei uns heißt, ist mit 89 Euro nicht billig. Wird aber von etwa 90 Prozent unserer Gäste gewählt.

Raw Wines: Biologisch – biodynamisch

Biologischer Weinbau Hier wird auf chemisch-synthetische Dünger, Insektizide und Herbizide verzichtet. Der Boden erfährt eine schonende Verarbeitung. 2009, im Jahr der letzten Weinbau-Statistik, wurden knapp 8 Prozent der heimischen Weinbaufläche biologisch bewirtschaftet, Tendenz extrem stark steigend.

Biodynamischer Weinbau Hier wird ebenfalls auf Synthetik, verzichtet, es geht aber noch viel weiter: Es wird versucht, geschlossene Kreisläufe zwischen Mensch, Tier und Pflanze zu schaffen, gespritzt wird unter anderem mit Tees, aber auch mit durch Rühren dynamisierten, stark verdünnten Auszügen, was an das Prinzip der Homöopathie erinnert. „Biodynamisch“ darf sich ein Weingut nur nennen, wenn es Mitglied beim Demeter-Verband ist. Biodynamisch arbeitende Nicht-Demeter- Betriebe können sich nur als biologisch zertifizieren lassen. 

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