"Mehr Öko-Tourismus durch Bio"

"Mehr Öko-Tourismus durch Bio"
Über willkommene Nebenwirkungen, gegenwärtige Herausforderungen und Zukunftsmusik.

Die Schweiz spielte eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Bio-Ernährung und Öko-Landbau. Gegenwärtig treibt der Eidgenosse Urs Niggli das Thema voran. Der KURIER sprach mit dem Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau, kurz FiBL oder auch "’s Fibli" genannt.

Was bewirkt Biolandwirtschaft für eine Region?
Urs Niggli: Im Hügelland und in den Bergen stellten ganze Dörfer und Regionen auf Bio um. In Salzburg sind es 50 Prozent, in Graubünden 63. Das bringt viele Veränderungen mit sich. So können die Bio-Bauern ihr Sortiment ausweiten und aufgrund des höheren Preises, den sie für Öko-Lebensmittel bekommen, auch Spezialprodukte mit kleineren Anbaumengen anpflanzen. Da die Kombination aus Bio und regional besonders gefragt ist, tritt man als regionale Marke auf und es entstehen gemeinsame Marketinginitiativen. Die Weiterverarbeitung passiert dann ebenfalls in der Region. Durch die Belieferung der Hotellerie entsteht verstärkt Bio-Tourismus. Außerdem bieten Bio-Bauern zusätzlich oft Urlaub am Bauernhof an. Es kommen also viele Arbeitsplätze hinzu.

Welche Spezialprodukte entstehen da?
Häufig sind es Bio-Milch und Käsespezialitäten. Vielfach geht die Initiative zur Umstellung denn auch vom lokalen Käser und Milchverarbeiter aus. Manche beginnen Bio-Bergkräuter und andere alte Getreidesorten wie Dinkel und Buchweizen anzubauen.

Obwohl sich viele konventionelle Landwirte etwa die mechanische Unkrautentfernung von den Bio-Bauern abschauen, wünschen Sie sich ein moderneres Image für Öko-Landwirte?
Konventionelle Landwirte finden Bio-Landbau unmodern. Junge Bauern stellen heute nicht mehr so oft auf Bio um wie vor einigen Jahren. Das Image muss sich ändern.

Tragen die Öko-Bauern zu diesem Bild bei?
Gerade im Gemüsebau könnte man noch viel Handarbeit durch einen Unkrautroboter ersetzen. Bio-Bauern sagen oft, das würde Jobs vernichten. Nur geht es hier um temporäre Billigarbeitskräfte. Außerdem fühlen sich die Bio-Bauern eingeengt durch die vielen Verordnungen. Mit der EU-Bio-Richtlinie wurden Regeln festgelegt, die auf den Pionieren des Bio-Landbaus beruhen. Die meisten sind hochaktuell, aber es gibt auch altmodische. 395 von 400 chemischen Pestizid-Wirkstoffen sind verboten, Kupfer und Schwefel allerdings immer noch erlaubt. Da müssen bessere Alternativen her.

Wo liegt das Problem bei Kupfer?
Zur Bekämpfung pflanzlicher Pilzkrankheiten ist Kupfer völlig unproblematisch, als Spurenelement braucht es der Mensch sogar. Es wurde aber zu wenig darauf geachtet, dass es sich als Schwermetall im Boden nicht mehr abbaut. Die Krankheitsregulierung bei Pflanzen ist generell ein großes Defizit im Bio-Landbau. Wobei das Risiko variiert. Je mehr Zwischenkulturen angepflanzt werden und je fruchtbarer der Boden ist, desto weniger pilzanfällig sind Pflanzen. Abgesehen davon gibt es resistente Sorten, bei den Äpfeln gegen den Schorf, im Weinbau gegen den Mehltau.

Warum konzentriert man sich nicht auf diese Sorten?
Sie haben sich am Markt noch nicht durchgesetzt. Zum Glück laufen derzeit mehrere EU-Projekte mit Pflanzenextrakten als natürliche Mittel zur Pilzbekämpfung. Demnächst beginnt der Zulassungsprozess. Am FiBL arbeiten wir seit 30 Jahren am Ersatz von Kupfer, endlich sehen wir Licht am Ende des Tunnels.

Wie sieht Modernisierung in der Tierhaltung aus?
Ganz anders! Da setzen wir etwa auf die Mensch-Tier-Beziehung. In einem Experiment haben wir Kälber in den ersten drei Tagen jeweils zehn Minuten, dann bis Monatsende einmal wöchentlich gestreichelt. Die Kälber waren viel zutraulicher, hatten später beim Transport in den Schlachthof keinen Stress. Die Fleischqualität war dann aufgrund von weniger Stresshormonen besser.

Andererseits reden Sie immer wieder vom Melkroboter. Die Bauern können dadurch zwar länger schlafen, die Maschine reduziert aber den Kontakt zum Tier.
Wir haben Kühe mit Sensoren für Temperatur, Bewegung, Fress- und Wiederkau-Aktivität an den Halftern bestückt. Das bringt wertvolle Infos für die Züchtung gesünderer Kühe, die mehr Gras fressen. Ob Sensor oder Melkroboter: Bei Hightech in der Tierhaltung sollte der Bauer die gewonnene Zeit auch dafür nützen, seinen Tieren mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Sie bezeichnen Fliegenmaden als das "Steak der Zukunft." Warum?
Als hochwertige Proteinträger werden Insekten für die Welternährung noch eine wichtige Rolle spielen. Die Asiaten essen sie längst, in Europa wird sich das wohl nicht durchsetzen. Die Forschung macht also etwas anderes: Wir lassen Maden jene Abfälle fressen, die im Lebensmittelbereich anfallen. Die fetten, getrockneten Maden werden dann zu Insektenmehl verarbeitet. Damit könnte man Schweine, Hühner und Zuchtfische füttern. Würde man alle Lebensmittel-Abfälle zu Insektenmehl veredeln, könnte man 60 Prozent der ökologisch bedenklichen Sojaimporte aus Brasilien streichen.

Essen Sie selbst diese Insekten?
Nein. Wir verwenden die extrem produktiven Schwarzen Soldatenfliegen für die Insektenmehl-Herstellung. Sie stinken aber fürchterlich.

Zur Person

Urs Niggli leitet seit 25 Jahren das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), eine der wichtigsten Beratungs- und Forschungsstellen für Bio-Landbau. Er kam über einen Umweg zum Thema. Zunächst studierte er Pflanzenbau und schrieb seine Doktorarbeit am Institut für Unkrautphysiologie. Danach war er fast zehn Jahre für staatliche Forschungsanstalten in der Schweiz tätig und dort für die Prüfung und Zulassung chemischer Unkrautbekämpfungsmittel zuständig. Unter anderem gilt das für den Wirkstoff Glyphosat, ein Breitband-Herbizid, das extensive Verwendung finden sollte und heute aufgrund neuerer Erkenntnissen als äußerst umstritten gilt. Parallel hat Niggli von Anfang an nicht-chemische Alternativen zu Herbiziden beforscht. Das hat die Bio-Bauern, nicht aber die konventionellen Landwirte interessiert. So wechselte er zum FiBL, das heute Niederlassungen in Deutschland und Österreich hat. Daneben arbeitet Niggli als Lehrbeauftragter für Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich.

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